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Die letzte Eskorte: Roman

Die letzte Eskorte: Roman

Titel: Die letzte Eskorte: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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dreihundert Jahre die Genueser zu vertreiben! Aber neunundsechzig entsandten die Bourbonen ihre Armeen, denen wir nicht gewachsen waren – unser Experiment einer eigenen Regierung fand ein jähes Ende. Deshalb suchen wir das Bündnis mit England. Korsika ist nicht stark genug, um sich alleine zu behaupten. Das ist unsere Tragödie. Aber das ist die andere große Lektion, die das Alter einen lehrt – Kompromissbereitschaft. Wir sind einfach nicht groß genug, um zu bestehen, daher müssen wir uns mit dem Land verbünden, das unseren Wunsch nach Unabhängigkeit am meisten respektieren wird – und das ist Ihre Nation, Kapitän, wo ich zwanzig lange Jahre im Exil verbracht habe.«
    Hayden wusste nicht recht, was er sagen sollte, und daher zögerte er leicht: »Vielleicht lässt sich Ihr lang gehegter Traum von der Unabhängigkeit doch noch verwirklichen, unterstützt von Großbritannien.«
    Paoli zuckte mit den Schultern. »Bevor ich sterbe, würde ich sehr gern erleben, dass mein Land Ruhe findet. Sollen die kommenden Generationen der Korsen ihre Tage mit den gewöhnlichen Annehmlichkeiten des Lebens verbringen – mit Liebe, Kindern, dem Duft des maquis in der Morgenluft –, anstatt immer wieder gegen einen Feind in den Kampf gerufen zu werden. Wir haben schon so lange gekämpft, dass wir nicht mehr viel vom Leben erwarten. Nach Reichtum oder militärischem Ruhm steht uns nicht der Sinn. Wir wollen nur Frieden und selbst über unsere Angelegenheiten entscheiden können – und natürlich etwas von dem Feigenaufstrich«, meinte er und kratzte den Rest der Konfitüre aus dem Topf. Doch dann betrachtete er Hayden mit ernster Miene. »Das wäre meinem Volk genug.«
    »Jeder sollte damit zufrieden sein, denke ich«, antwortete Hayden, ganz gerührt von der Aufrichtigkeit dieses Mannes.
    Paoli unterdrückte ein Lächeln, als er Hayden leicht am Arm berührte – mit der großen Hand eines Steinmetzen. »Dann werde ich noch etwas von diesem Aufstrich holen, Kapitän.« Er stand steif auf, ging zu einem Schrank und kramte vor sich hin murmelnd in den Regalen. »Ah!«, rief er dann und präsentierte stolz ein irdenes Gefäß mit der geliebten Feigenkonfitüre. Dann kehrte er schlurfenden Schrittes zurück zum Tisch und sank schwer auf seinen Stuhl, als hätten ihm seine Beine im letzten Moment den Dienst verweigert. »Haben Sie Kinder, Kapitän?«
    »Nein, General, doch ich hoffe, dass es eines Tages so sein wird.«
    »Den meisten sage ich, keine Eile, aber bei Soldaten sage ich immer, jetzt ist nicht zu früh. Das Leben, für das wir uns entschieden haben, ist von vielen Unwägbarkeiten geprägt. Ich für meinen Teil darf mich glücklich schätzen, so lange überlebt zu haben, denn viele meiner Kameraden haben ihr Leben für unsere Sache gegeben. Ein Priester sagte einmal zu mir, Gott habe seine schützende Hand über mich gehalten, damit ich meinem Volk die Unabhängigkeit bringen kann. Ich glaube indes nicht, dass der Allmächtige so sehr um das Schicksal Paolis besorgt ist oder dass nicht auch ein anderer Mann das tun könnte, was ich bislang getan habe. Nein, ein Paoli ist nicht so bedeutend, dass Gott auf ihn aufmerksam geworden wäre.«
    Er hob seinen Krug mit Milch, aber ehe er ihn an die Lippen setzte, schaute er Hayden über den Rand hinweg an.
    »Ist es nicht angenehm, allein zu sein, ohne dass dauernd jemand etwas von einem will? Genau aus diesem Grund stehe ich immer so früh auf – und genieße einige Augenblicke des Friedens.«
    »Ich hoffe, ich habe Sie nicht in Ihrer Ruhe gestört, General.«
    »Oh, keineswegs. Es ist mir ein Vergnügen, Englisch mit einem Engländer sprechen zu können. Ich vertraue Ihnen jetzt etwas an: Es gibt Zeiten, da wünschte ich, mein Volk wäre so praktisch veranlagt und so – wie sagt man – pragmatisch wie Ihre Landsleute. Aber nein. Die Korsen sind ein leidenschaftliches und impulsives Volk, fühlen sich schnell beleidigt und neigen zum Zorn. Das ist unser Fluch, Kapitän. Aber ganz ohne Leidenschaft leben zu müssen ist vermutlich der größere Fluch, denke ich.«
    Zu dieser Einschätzung, die womöglich dem Volk seines Vaters zugemessen war, konnte Hayden nichts mehr sagen, da in diesem Moment die anderen Gäste nach unten kamen.
    Gefolgsleute von Paoli brachten derweil das Frühstück. Gewiss hatten sie sich eine Weile von ihrem General entfernt aufgehalten.
    Die Frühmahlzeit wurde bald zu einem geselligen Ereignis, da sich viele Vertraute von Paoli mit an den Tisch

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