Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
über den Ruinen der verlassenen Küstenstädte tobten.
Auch in Kanada gab es eine wachsende Flüchtlingskrise. Die Hudson Bay dehnte sich immer weiter aus, und das Meer bahnte sich seinen Weg durch den Schlund des Saint-Lawrence-Tals zu den Großen Seen und verschlang dabei Quebec, Montreal und Toronto. Elena meinte, dort finde ein weiteres Artensterben statt. Die Seen seien die größten Süßwassergewässer der Welt; jetzt würden ihre Ökosysteme vom Salz vergiftet.
»Ich selbst habe auf meinen Reisen viel von Europa gesehen …«, erzählte sie dann.
Die verzweifelte Lage Nordeuropas war in der Tat die große Geschichte des Jahres. Mit der Überflutung Hollands hatte
eine dramatische Überschwemmungsphase begonnen; das Hochwasser erstreckte sich jetzt über die gesamte nordeuropäische Ebene, über Norddeutschland bis nach Polen hinein. Ganze Völkerscharen waren auf der Flucht, entweder in nördlicher Richtung nach Skandinavien oder in südlicher Richtung zu den romanischen Ländern, ein Evakuierungsprogramm, das immer noch mehr oder weniger von der Europäischen Union koordiniert wurde, obwohl längst auch wieder nationale Rivalitäten zum Vorschein kamen. Der Süden hatte jedoch seine eigenen Probleme: Von Spanien bis in die Levante hatte sich eine heftige Dürre festgesetzt. Zugleich führten isostatische Ausgleichsbewegungen im gesamten Mittelmeerraum zu Erdbeben und Vulkanausbrüchen. Und im Nahen Osten braute sich ein großer Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn zusammen; die unmittelbare Ursache waren dreiste Versuche Syriens und anderer Staaten, die hoch entwickelte israelische Entsalzungstechnologie in die Hände zu bekommen.
Die drei unterhielten sich in groben Zügen über andere Gebiete, die keiner von ihnen in letzter Zeit persönlich besucht hatte, und gaben Berichte aus zweiter Hand wieder. Gary wiederholte, was Sanjay über Australien erzählt hatte.
Auf dem indischen Subkontinent hatte sich die Misere der Überschwemmungen und des Krieges in Indien, Pakistan und Bangladesh dadurch verschärft, dass der Monsun aufgrund von Verschiebungen im erdumspannenden Wasserkreislauf jahrelang entweder ausgefallen oder zur falschen Zeit gekommen war.
In Südostasien herrschte ungeheures Leid. In Vietnam
war die gesamte Bevölkerung von Ho-Chi-Minh-Stadt ins Hochland im Norden evakuiert worden. Kambodscha und Thailand waren so gut wie verschwunden. Nord- und Südkorea hatten ihren Bruderkrieg aufgegeben und zwecks besserer Lenkung der vom steigenden Gelben Meer verursachten Flüchtlingsströme ihre gemeinsame Grenze geöffnet. In China hatte derselbe Anstieg zur Aufgabe von Peking geführt und einen gewaltigen Flüchtlingsstrom in die Innere Mongolei und dahinter liegende Regionen ausgelöst.
Ein großer Teil von Afrika befand sich im Griff der Dürre, während das ostafrikanische Riftsystem überflutet wurde. Die Regenwälder des Kongo starben ebenfalls; Gary hatte von heroischen Anstrengungen gehört, die letzten Kolonien der afrikanischen Menschenaffen zu retten.
»Und in Russland«, sagte Elena, »brennt die Taiga.«
»Na prima«, erwiderte Thandie. »Noch mehr Kohlendioxid.«
»Einer Reihe von uns bereitet die Erwärmung ebenso große Sorgen wie die Überschwemmung.«
Thandie brachte ein Lachen zustande. »Ich liebe euer russisches Understatement. Ja, einer ganzen Reihe von uns bereitet das große Sorgen. Mehr CO 2 -Quellen und weniger verfügbare Senken, wenn das Land mit seinen Wäldern und Marschen in den Fluten versinkt. Und selbst im Meer gibt es keinen Lichtblick. Höhere Temperaturen verringern die Produktivität des Phytoplanktons, so dass es nicht mehr so viel Kohlendioxid binden kann wie früher. Oh, und wenn das Meer sich über die Land- und Eisflächen ausbreitet, vermindert sich die Albedo des Planeten.« Die überflutete Welt wurde dunkler. Darum reflektierte sie weniger Licht,
nahm mehr Wärmeenergie von der Sonne auf und wurde noch wärmer.
»Und so geht’s immer weiter«, sagte Gary. »Eine komplette, ineinander verzahnte Abfolge von Rückkopplungszyklen, die alle auf ›plus‹ geschaltet sind.«
Thandie nickte. »Ja. Tatsächlich glaube ich, dass wir einen kritischen Punkt erreicht haben, an dem die vom Meeresanstieg verursachten Klimaveränderungen völlig neue Dimensionen annehmen.«
»Und was kommt als Nächstes? Glaubst du, mit deinem Meeresspiegelanstieg geht’s immer so weiter?«
»Auf lange Sicht schon«, sagte Thandie leise. »Aber kurzfristig
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