Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
wurde vereinbart, mich noch dieses ganze Jahr zum Zashiki gehen zu lassen, aber ich bekam nun das Oshūgidori, das Recht, meine Trinkgelder selbst zu behalten. Zum ersten Mal war ich in der Lage, frei über eigenes Geld verfügen zu dürfen. Mit dem Geld, das ich als Trinkgeld erhielt, sorgte ich dafür, daß ich in unserem Revier wohlgelitten war, indem ich dem Personal der Restaurants nette Aufmerksamkeiten zukommen ließ.
Wenn ich was gekauft bekommen wollte, brachte ich den Lonpari dazu, indem ich seinen Ehrgeiz anstachelte: »Der Geisha A hat der Herr B einen hübschen Festkimono gekauft« oder: »Die hat eine Uhr gekauft bekommen« oder: »Die Geisha C, deren Mäzen der Herr D ist, läuft immer schäbig herum, und alle lachen sie aus und sagen: ›Wenn eine Geisha mit festem Mäzen in so erbärmlichen Klamotten rumläuft, muß der ja ein schöner Geizkragen sein!‹ Daß ihr das nicht peinlich ist! Ich habe jedenfalls Mitleid mit ihr …«
Solche Reden darf man aber nicht in vorwurfsvollem Tonführen. Ich tue so, als würde ich harmlos und unbekümmert nur über andere tratschen.
Das gehört freilich zu den leichteren Aufgaben. Wenn man zwei oder drei Jahre in diesem Gewerbe steckt, versteht man schnell, je nach Partner tausenderlei Verstellungen und Tricks anzuwenden. Man muß auch dazu fähig sein, zu lachen, wenn man den Tränen nahe ist, und zu weinen, wenn man loslachen möchte.
Um diese Zeit habe ich meistens mehr als 200 Lohneinheiten pro Monat eingebracht, aber je mehr das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wuchs, desto eigensinniger begann ich mich zu verhalten. Wenn ein Gast ein bißchen zudringlich wird, stehe ich auf und sage:
»Ich gestatte mir zu gehen. Auf ein oder zwei Lohneinheiten kommt es mir wirklich nicht an!«
Im Gegenzug laufen mir dann Kunden zu, die mich geistvoll oder couragiert finden und das für interessanter halten. Die bevorzugen mich dann besonders.
Als Grund dafür, mich loskaufen zu wollen, sagte mir der Lonpari:
»Du hast nämlich Vitalität. Ich kann Leute ohne Vitalität nicht ausstehen. Wenn du einem, der in ein tiefes Loch gefallen ist, ein Netz zuwirfst, damit er rauskommt, gibt es den Typ, der sich ans Netz dranklammert und rausklettert, und den Schwächling, der trotzdem nicht rauskommt. Leute mit Vitalität, das sind die, die rauskrabbeln und dann von alleine gehen können. Ich hasse es bei allen Dingen, mir vergebliche Mühe zu geben, und Leute ohne Vitalität kriegen von mir nicht mal 'nen Strohhalm gereicht.«
Ob das mit der Vitalität auf mich zutrifft, weiß ich nicht, aber für mich steht fest, daß ich ein ziemlich boshafter Mensch gewesen bin. Der folgende Vorfall ist ein Beispiel für meine Bosheit.
Temari und ich benutzten Socken der gleichen Größe. Wenn ich sie wasche und wegräume, dann zieht sie die an, macht sie schmutzig und läßt sie dann so liegen. Ich habe sie immer gewaschen und mich nie über die Ungerechtigkeit beklagt, aber seit ich guten Umsatz mache und mich eigenwilliger betrage, habe ich einmal alle Socken versteckt. Temari, auf dem Sprung ins Zashiki , geriet in Panik.
»Tsuruchan, hast du eine Ahnung, wo meine Socken sind?«
»Wie kann ich das wissen? Ich bin doch nicht dein Dienstmädchen …«
Obwohl wir beide zusammen zum Zashiki gehen sollten, bereitete ich nur meine eigenen Sachen vor, ging dann stracks los und tat so, als merkte ich nichts. Erst später kam Temari hinzu und sagte schmollend:
»Du hast aber auch kein Mitgefühl! Ich bin von der Mutter gescholten worden!«
»Ach ja? Du solltest in Zukunft auf dein Zeug besser aufpassen …«, sagte ich schnippisch. Schon längst hatte ich ihr eins auswischen wollen und dachte vergnügt, das geschieht dir recht!
Tsukikos Selbstmord
Tsukiko, die immer nur geweint und, wenn überhaupt, nur gesagt hatte, »das ist Schicksal«, hat sich wohl endlich an dieses Gewerbe gewöhnt, dachte ich, weil sie auf einmal heiter war. Da erzählte sie mir freudestrahlend:
»Tsuruchan, ich heirate!«
»Heirat? Richtig heiraten?« fragte ich.
»Ja! Herr Hi hat gesagt, er will mich loskaufen und heiraten! Deshalb lasse ich mir außer von Herrn Hi von niemandem mehr was sagen. Von mir aus kann die Mutter toben oder mit meinen Partnern alles in die Brüche gehen.Wenn es klappt, werde ich in zwei oder drei Monaten losgekauft …!«
Welch ein zauberhaftes Wort, das Wort »heiraten«! Wenn ich auf dem Hin- und Rückweg vom Zashiki manchmal junge Ehepaare sehe, die zusammen gehen, habe
Weitere Kostenlose Bücher