Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
nicht so schwere Arbeit zu leisten, es gibt doch jede Menge angenehmere Arten zum Geldverdienen«, sagte mir auch schon mal einer, mich wohlgefällig aus den Augenwinkeln musternd und meine Hand tätschelnd. Dem entziehe ich mich höflich, indem ich sage:
»Ich danke für Ihre freundliche Anteilnahme, aber fassen Sie mich nicht an. Mein Leib ist verfault, und Ihre Hand fault dann auch.«
Wenn er noch weiter hartnäckig dranbleibt, schaffe ich ihn mir mit anderen Tönen vom Hals:
»Verpiß dich, du Idiot! Wenn du auf Anmache aus bist, geh ich dir an die Gurgel!«
Auf solche Weise konnte ich mir etwas, wenn auch nur sehr wenig, ansparen, und es sah aus, als rücke die Erfüllung unsrer Wünsche langsam in Reichweite, doch im Sommer 1952 legte sich mein Bruder plötzlich mit Bauchschmerzen nieder. Am Anfang nahm ich es, ganz aufs Geldverdienen versessen, nicht allzu ernst, aber weil er auch Fieber zu haben schien, rief ich einen Arzt und ließ ihn untersuchen. Es sei eine Darm-Tuberkulose, sagte er, und wenn er nicht sofort ins Krankenhaus komme, sei sein Leben in Gefahr. Ich ließ ihn sofort in die Universitätsklinik in Chiba einliefern und blieb eine Zeitlang an seiner Seite, aber im Nu waren unsere Ersparnisse aufgezehrt, und ich mußte meinen Bruder im Krankenhaus allein lassen und arbeiten.
----
[ 3 ] Mit den gestreckten, aneinandergelegten kleinen Fingern wird eine intime Liaison angedeutet.
Abgrund der Verzweiflung
Der Selbstmord meines Bruders
Wenn ich es recht bedenke, verdankte ich es vor allem dem Beistand meines Bruders, daß ich die letzten Jahre durchweg wenn auch in Armut, so doch ernsthaft und anständig verleben konnte. Es ist aber kein Wunder, daß jetzt, wegen so einer Krankheit, mein Lebensmut der letzten Zeit zerbrach und ich nur fassungslos bei ihm im Hospital blieb, bis unser Geld bis auf den letzten Sen aufgebraucht war.
Dann aber merkte ich, daß es mir wahrhaftig nicht leichtfiel, das Geld für das Penicillin zu verdienen, das 600 Yen die Spritze kostete. Man muß mindestens drei Tage lang hart ranklotzen, um das Geld für eine Spritze zusammenzukriegen. In meiner Not ließ ich mich schließlich wieder mit der Amüsierbranche ein, im Revier von Hasuike, denn das ist die Arbeit, die sich am schnellsten auszahlt. Zu der Zeit waren Geisha nicht mehr das, was sie vor dem Krieg noch gewesen sind, sondern zu nichts anderem als schlichter Prostitution verkommen. Ich ging nachts dem Gewerbe nach und blieb tagsüber an der Seite meines Bruders. Ihm flunkerte ich vor, Herr Matsumura würde mir alles Geld vorlegen, das wir benötigen, aber mein Bruder, der ja kein Kind mehr war, hat vielleicht alles rausgekriegt. Am Abend des 12. Oktober, nachdem ich fortgegangen war, hat er sich das Leben genommen, indem er sich vom Dach der Klinik stürzte.
»Ich möchte dir, liebe Schwester, nicht länger zur Last fallen. Mein Leben kann sowieso nicht erhalten werden. Auch mein Vater ist an derselben Krankheit gestorben. Ich weiß noch, welche verzweifelten Anstrengungen die Mutter unternommen hat, um den Vater behandeln zu lassen. Liebe Schwester, ich möchte, daß du glücklicher wirst.«
Das war der Abschiedsbrief, den er mir hinterlassen hat.
Hastig ins Hospital gerannt, bekam ich im Operationssaal den übel zugerichteten Leichnam meines Bruders gezeigt. In dem Augenblick fühlte ich das Blut in meinen Adern gerinnen; mein Kopf war leer; ich spürte nur, wie sich darinnen alles im Kreis drehte. Sogar die Tränen zum Weinen blieben mir weg, und schließlich brach ich in schallendes Gelächter aus.
Alle hielten mich für übergeschnappt. Ich hätte sicher von Glück reden können, wenn ich wirklich übergeschnappt gewesen wäre, aber ich war bei klarem Verstand. Ich hockte Tag um Tag wie betäubt im Zimmer, trank nichts und aß nichts, sondern weinte und führte Selbstgespräche.
»Reißt mir die Arme und Beine aus, und wenn ich zum Daruma werde! Aber gebt mir meinen Bruder wieder!« soll ich, an niemand bestimmten gerichtet, geschrien und gefleht haben, ich selbst erinnere mich nicht gut daran. Ich dachte nur, ich muß irgendwas überlegen, irgendwas besser begreifen, aber in meinem Kopf hatte sich ein Loch aufgetan, und ich konnte keinen Gedanken fassen. Ich beneidete meinen Bruder um seinen Mut, von solcher Höhe runterzuspringen.
»Masaru, wie konntest du nur denken, deine Schwester könnte je ohne dich glücklich sein!« Habe ich dem Jungen denn meine Gesinnung nicht begreiflich machen
Weitere Kostenlose Bücher