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Die letzte Hürde

Die letzte Hürde

Titel: Die letzte Hürde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Caspari
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diesem Tag die Arbeit mit Sindbad beendet hatte, ging sie zu dem Mädchen hinüber. „Hallo! Du scheinst mir ein echter Pferdenarr zu sein! Zufrieden mit meiner Arbeit?“ fragte sie lächelnd.
    Das Mädchen wurde rot. „Wie? Oh, ich verstehe überhaupt nichts davon. Ich sehe nur gern zu!“
    „Ehrlich? Du reitest nicht? Und ich habe dich für einen Profi gehalten. So lange, wie du es da aushältst!“
    „Ach, ich könnte Tag und Nacht zuschauen. Ich würde sehr gern reiten, wenn ich könnte. Leider geht das nicht!“ sagte das Mädchen leise.
    „Und warum nicht? Du bist doch alt genug, wer kann es dir verbieten? Als ich mit dreizehn endlich anfangen durfte, hatte ich jahrelange Kämpfe mit meiner Mutter hinter mir!“
    „Meine Mutter ist nicht das Problem. Meine Beine sind es!“
    Sie stand auf. Sie war zierlicher, als Bille vermutet hatte. Das Mädchen sah an sich hinunter. Bille folgte ihrem Blick und erschrak. Die mageren, an die Gliedmaßen einer Achtjährigen erinnernden Beine des Mädchens steckten in Schienen, groben Gehhilfen aus Leder und Metall. Neben ihr im Gras lagen Krücken.
    Bille hatte sich schnell gefaßt.
    „Aber das ist doch kein Grund?“ Fragend sah sie das Mädchen an.
    „Lena! Ich heiße Lena Krolle, meine Eltern haben eines der Ferienhäuser gekauft. Wir kommen aus Hamburg.“
    „Ich bin Bille, Sibylle Abromeit aus Wedenbruck - und aus Groß-Willmsdorf. Das muß ich dazusagen, denn dort spielt sich der größte Teil meines Lebens ab“, erklärte Bille.
    Fragend sah Lena Krolle sie an.
    „Hast du noch nie von Groß-Willmsdorf gehört? Da ist das Gestüt von Hans Tiedjen, er war bis vor kurzem aktiver Springreiter und absolut berühmt!“
    „Der den schweren Unfall hatte und dann aufhören mußte? Klar, den kenne ich, natürlich nur aus dem Fernsehen. Und der hat hier ein Gestüt?“
    „Ja. Und nicht nur das“, erzählte Bille. „Er hat das Schloß, das zum Hof gehört, zu einem Reiterinternat gemacht. Ein richtiges Pferdeparadies. Wenn du willst, fahre ich dich mit der Ponykutsche mal rüber.“
    „Das würdest du tun? Toll!“
    Bille sah das Mädchen prüfend an. Lena gefiel ihr, sie hatte eine so herzliche, offene Ausstrahlung, daß man sich sofort von ihr angezogen fühlte, und besaß offensichtlich nicht eine Spur von Selbstmitleid oder Wehleidigkeit.
    „Lena, ich glaube, ich hätte da einen Vorschlag für dich“, sagte Bille nachdenklich. „Was hältst du davon, wenn ich dir auf Zottel Reitstunden gäbe? Ihr zwei scheint euch ja schon richtig angefreundet zu haben. Zottel ist mein Pony, weißt du. Und mehr als das, er ist mein bester Freund und ständiger Begleiter. Und ganz sicher der klügste Vierbeiner der Welt! Er würde dir gehorchen, glaube ich. Ich kann ihn nicht mehr so oft reiten, wie ich möchte, seit ich so viele Großpferde trainieren muß.“
    Lenas Augen leuchteten auf. Zugleich bemerkte Bille ein wenig Ängstlichkeit in ihnen.
    „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, erklärte sie schnell. „Ich habe Erfahrung im Unterrichten von Menschen wie dir, wir haben im Internat vor einiger Zeit einen Behinderten-Reitkurs eingerichtet. Der findet natürlich nur während der Schulzeit statt. Aber für dich wäre Privatunterricht vielleicht sowieso besser.“
    „Du, das wäre einfach Spitze! Und du meinst, ich könnte das schaffen?“
    Bille lächelte. „Wenn du es schaffst, stundenlang auf diesen harten Holzbalken zu sitzen, schaffst du es auch, dich im Sattel aufrecht zu halten. Es zeigt, daß deine Rückenmuskulatur gut in Schuß ist.“
    „Können wir gleich heute anfangen? Wegen der Kosten brauchst du dir keine Gedanken zu machen, meine Eltern zahlen das sicher gern.“
    „Kein Problem. Kannst du dir möglichst bequeme Hosen anziehen? Dann treffen wir uns in einer halben Stunde hier.“
    Von nun an hatte Bille einen Schützling mehr - und noch mehr Arbeit. Doch sie tat es gern. Lena war intelligent und sensibel, sie lernte schnell, wie sie trotz ihrer Behinderung im Sattel das Gleichgewicht halten und auf den Pferdekörper einwirken konnte. Und sie liebte Zottel über alles, so wie auch Zottel Lena zu mögen schien. Jedenfalls hatte Bille den Eindruck, ihr Pony täte alles, um dem behinderten Mädchen das Reiten zu erleichtern. Mein Zottelchen, dachte Bille gerührt. Dieses Pony ist einfach großartig.
    Hin und wieder nahm Bille Lena nach Groß-Willmsdorf mit. So erlebte sie auch die turbulente Ankunft der Internatsschüler am Tag vor Schulbeginn.

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