Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die letzte Kolonie

Titel: Die letzte Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Scalzi
Vom Netzwerk:
sie finden können.«

    Yoder führte uns zu der Stelle, wo die Männer in den Wald eingedrungen waren, und sagte, dass er dort auf uns warten würde. Jane und ich zogen los und suchten nach der Fährte des Jagdtrupps.
    »Hier«, sagte Jane und zeigte auf Stiefelabdrücke im Waldboden. Paulo und seine Männer hatten sich keine Mühe gegeben, keine Spuren hinterlassen. »Idioten«, sagte Jane und folgte der Fährte, wobei sie gedankenlos ihre Fähigkeit ausnutzte, sich deutlich schneller als zuvor bewegen zu können. Ich rannte ihr hinterher, aber weder so schnell noch so leise wie sie.
    Etwa einen Kilometer später hatte ich sie wieder eingeholt. »Tu das bitte nie wieder«, sagte ich zu ihr. »Ich werde mir die Lungen aus dem Hals keuchen.«
    »Still«, sagte Jane, und ich hielt die Klappe. Auch ihr Gehör hatte sich zweifellos erheblich verbessert. Ich bemühte mich, so leise wie möglich Sauerstoff in meine Lungen zu saugen. Jane setzte sich in Richtung Westen in Bewegung, als wir einen Schuss hörten, kurz darauf gefolgt von drei weiteren Schüssen. Jane rannte wieder los, in die Richtung, aus der die Schüsse gekommen waren. Ich folgte ihr, so schnell ich konnte.
    Nach einem weiteren Kilometer kam ich auf eine Lichtung. Jane kniete über einem Körper, unter dem sich eine Blutlache gebildet hatte. Ein zweiter Mann hockte in der Nähe auf einem umgestürzten Baumstamm. Ich lief zu Jane hinüber und sah,
dass der Körper auf der Vorderseite völlig mit Blut besudelt war. »Er ist schon tot«, sagte sie, ohne zu mir aufzublicken. »Von einer Schusswunde zwischen Rippen und Brustbein. Die Kugel ging genau durchs Herz und ist am Rücken wieder ausgetreten. Wahrscheinlich war er längst tot, als er auf dem Boden landete.«
    Ich blickte ins Gesicht des Mannes. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich ihn wiedererkannt hatte. Es war Marco Flores, einer der von Gutierrez geführten Kolonisten von Khartoum. Ich ließ Jane mit ihm allein und ging zum anderen Mann hinüber, der ins Leere starrte. Es war ein weiterer Kolonist von Khartoum, Galen DeLeon.
    »Galen«, sagte ich und hockte mich vor ihn hin, sodass ich mit ihm auf gleicher Augenhöhe war. Er schien mich gar nicht wahrzunehmen. Ich schnippte ein paarmal mit den Fingern, bis ich seine Aufmerksamkeit erweckt hatte. »Galen«, wiederholte ich. »Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
    »Ich habe Marco erschossen«, sagte DeLeon tonlos und geradezu beiläufig. Er blickte an mir vorbei, ohne etwas Bestimmtes zu betrachten. »Ich wollte es nicht. Sie kamen plötzlich aus dem Nichts, und ich habe einen erschossen. Dann stand Marco im Weg, und ich habe ihn erschossen. Er ging sofort zu Boden.« DeLeon legte die Hände vors Gesicht und raufte sich die Haare. »Es war nicht meine Absicht. Plötzlich waren sie einfach da.«
    »Galen«, sagte ich. »Sie sind mit Paulo Gutierrez und ein paar anderen Männern losgezogen. Wohin sind sie gegangen?«
    DeLeon deutete unbestimmt nach Westen. »Sie sind weggelaufen. Paulo, Juan und Deit haben die Verfolgung aufgenommen. Ich bin hier geblieben. Um zu sehen, ob ich Marco
helfen kann. Um zu sehen …« Seine Stimme wurde leiser und verstummte ganz.
    Ich stand auf.
    »Ich wollte ihn nicht erschießen«, sagte DeLeon, immer noch in ausdruckslosem Tonfall. »Sie waren einfach da. Und sie haben sich unglaublich schnell bewegt. Das hätten Sie sehen sollen. Wenn Sie sie gesehen hätten, wüssten Sie, warum ich schießen musste. Wenn Sie gesehen hätten, wie sie aussehen.«
    »Wie sahen sie aus?«
    DeLeon zeigte ein tragisches Lächeln und sah mich zum ersten Mal an. »Wie Werwölfe.« Er schloss die Augen und vergrub das Gesicht wieder in den Händen.
    Ich ging zu Jane hinüber. »DeLeon steht unter Schock«, sagte ich. »Einer von uns beiden sollte ihn zurückbringen.«
    »Was hat er erzählt?«, wollte Jane wissen.
    »Dass die Wesen plötzlich wie aus dem Nichts erschienen und dorthin gelaufen sind«, sagte ich und zeigte nach Westen. »Gutierrez und die anderen sind ihnen gefolgt.« Dann wurde mir alles klar. »Sie laufen in einen Hinterhalt.«
    »Komm«, sagte Jane und zeigte auf Flores’ Gewehr. »Nimm das mit«, sagte sie und rannte los. Ich nahm das Gewehr, überprüfte die Ladung und hetzte erneut meiner Frau hinterher.
    Ein weiterer Schuss war zu hören, gefolgt von menschlichen Schreien. Ich legte einen Zahn zu und stürmte schließlich eine Anhöhe hinauf, wo ich Jane in einem niedergetrampelten Hain aus Roanoke-Sträuchern fand.

Weitere Kostenlose Bücher