Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
meinen Vater. Meine Mutter hatte einen viel besseren Geschmack, das kannst du mir glauben.«
» Er hat Novem Soles erfunden. Und die Tafelrunde.«
» Beide?«
» Beide.«
Mila starrte ihn an. Mit der Axt in der Hand stieg sie ein paar Stufen herauf, dann blieb sie stehen. » Sie hätten sich für eine Seite entscheiden sollen.« Sie ließ die Axt fallen und hob das blutverschmierte Notizbuch auf, das ihm aus der Hand geglitten war, als ich ihn getroffen hatte.
Ich hörte Brauns zischenden Atem. Er wollte das Buch haben. Wahrscheinlich fanden sich darin Hinweise auf die CIA , sonst wäre es ihm nicht so wichtig gewesen. Er hatte bis jetzt nie einen Finger gerührt, um sein Frankenstein-Monster wieder einzufangen. Novem Soles wollte Jack Ming beseitigen, um die Geheimnisse der Organisation zu schützen. Braun wollte Ming beseitigen, um die dunklen Geheimnisse der CIA zu bewahren.
Damit musste Schluss sein.
» Viel Glück, Braun. Ich werde Sie nicht töten. Ich lasse Sie hier auf der Treppe sitzen, in dem Haus, wo Sie so viele schlaue Ideen hatten, die Ihnen alle auf den Kopf gefallen sind. Ich geh jetzt, und falls ich Sie noch einmal sehe…«
» Sam. Sie wollten doch unbedingt Ihr altes Leben wiederhaben, oder? Ich gebe es Ihnen. Sie brauchen nur zur CIA zurückzukommen und mir helfen, den Schlamassel aufzuräumen. Sie kriegen, was Sie wollen, und ich auch.«
» Ich liefere meine Freunde von der Tafelrunde nicht an die CIA aus. Auch nicht Mila. Und ich helfe Ihnen nicht.«
» Ihr altes Leben«, begann er von vorn. » Anders werden die Sie nicht in Ruhe lassen. Nur mit mir bekommen Sie alles zurück, was Sie verloren haben. Ihr Kind, Ihre Karriere.«
» Meine Frau?«
Braun schluckte. » Ich gebe Ihnen alles, was möglich ist. Wie wollen Sie denn mit Ihrem Sohn in Frieden leben? Glauben Sie, Novem Soles lässt Sie in Ruhe? Mein Angebot ist das einzig Sinnvolle für Sie.«
» Sie geben mir die Chance, so zu sein wie Sie. Und das ist gar nichts.«
» Überlegen Sie doch, was ich Ihnen biete!«
» Falls ich Sie noch einmal sehe, falls Sie Mila oder Leonie oder meinem Sohn auch nur nahe kommen, bring ich Sie um. Das Gleiche gilt, falls Sie versuchen, August etwas anzutun.« Fast hätte ich Jack Ming erwähnt, doch es war vielleicht besser, wenn Braun ihn weiter für tot hielt. » Falls ich auch nur das Gefühl habe, dass Sie sich Gedanken über mich machen, bring ich Sie um. Hauen Sie ab in den Ruhestand. Verschwinden Sie.«
» Das ist nicht gelogen… mit Ihrem Bruder. Lucy hat immer gesagt, Sie seien zur Company gegangen, um ihn zu rächen…«
» Und genau deshalb ist es gelogen: Sie wollen, dass ich Novem Soles verfolge«, erwiderte ich. » An Ihrer Stelle wär ich vorsichtig. Sie haben doch selbst die Gruppe gegründet, die meinen Bruder ermordet haben soll, oder? Halten Sie lieber den Mund.«
Ich drehte mich um und stieg die Treppe hinauf. Ich fand Leonie und Daniel in einem Wandschrank.
» Es ist alles gut«, sagte ich. » Wir gehen. Zusammen.«
Sie drückte Daniel an sich. Ihre Nähe hatte ihn sichtlich beruhigt. Er schaute zu mir auf. Blinzelte desinteressiert. Dann schaute er mich wieder an und streckte ein Fäustchen zu mir aus.
Ich nahm ihn aus Leonies Armen; ich fragte nicht. Sie ließ es geschehen. In gewisser Weise gehörte er auch zu ihr, doch er war mein Sohn. Ich barg sein Köpfchen unter meinem Arm, wie ich es bei Vätern im Fernsehen beobachtet hatte. Ich roch seinen warmen milchigen Atem. Spürte sein Gewicht in meinen Armen. Es war ein Wunder.
Er hob erneut sein Fäustchen, und ich küsste es.
91
Auf den Bahamas
Daniel hatte Angst vor dem Wasser.
Ich konnte ihn gar nicht lange genug im Arm halten, fast so, als wäre es lebensnotwendig, ihn pausenlos zu spüren. Er hatte sich im Laufe der Wochen an mich gewöhnt. Dass wir in seinen ersten Lebensmonaten getrennt gewesen waren, musste doch aufzuholen sein, sagte ich mir, und zwar ohne dass irgendwelche Narben bei ihm zurückblieben. Ich las wie besessen im Internet über das Thema Eltern-Kind-Trennung. Was immer die Experten behaupteten: Ich würde alles wiedergutmachen.
Wir wateten durch die Brandung, und er starrte auf die Wellen hinunter, die meine Waden umspülten. Ich ließ eine Welle vorbeischwappen, dann tauchte ich seine Füße ins kühle Nass. Er kicherte. Als die nächste Welle kam, hob ich ihn hoch, damit sie ihn nicht erwischte. Er liebte es, in die Luft gehoben zu werden. Wir wiederholten das Spiel zu seinem
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