Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
leisen Fluch aus. Er zog seine Pistole und schoss das Gesicht des Mannes weg. In der mondlosen Nacht brauchte er eine Taschenlampe, um genau zu treffen, und er achtete darauf, keine Blutspritzer auf seine Schuhe oder Jeans zu bekommen. Braun lud nach und schoss auch die zehn Fingerspitzen des Toten weg. Damit verschaffte er sich höchstens einige Tage, falls die Leiche gefunden wurde, doch es hatte sich schon oft gezeigt, dass auch eine kurze Zeitspanne entscheidend sein konnte. Er nahm die Nummernschilder von der Limousine ab und holte den gefälschten Fahrzeugschein heraus. Schließlich verstaute er die Leiche im Kofferraum und legte auch die tote Sandra Ming hinein.
Auf dem Grundstück gab es einen großen Teich. Er fand einen passenden Felsbrocken für das Gaspedal und beobachtete, wie die Limousine unterging. Der Wagen sank überraschend schnell. Er wartete, bis die Wasseroberfläche wieder spiegelglatt war.
Dann stieg er in seinen Mercedes und fuhr zu seiner Wohnung in Greenwich Village. Es war schon sehr spät, und er setzte sich hin und trank Kaffee, während er die Sterne betrachtete und überlegte, ob Gefahr drohte. Ob irgendjemand wusste, was er tat, und warum.
Sam Capra. Er hätte ihn aufhalten können, wenn er sich nicht mit den Arschlöchern in Langley hätte treffen müssen, die auf einen kurzen Bericht bestanden. Special Projects war der reinste Bienenschwarm, aber nur er und August wussten von der Sache mit Jack Ming. Und natürlich Fagin, doch der würde schweigen. Fagin zu eliminieren hätte zu viele Fragen aufgeworfen; der Mann war tabu. Und eine hübsche Überweisung auf Fagins Konto würde ihn in seinem Schweigen bestärken. Glücklicherweise wusste kaum jemand in der Company, welche Blamage Sam Capra der CIA bei dem Vorfall im Yankee Stadium erspart hatte. Die meisten hielten ihn immer noch für einen zwielichtigen Typen, dem man nicht trauen konnte.
Es wurmte ihn, dass ihm die Sache außer Kontrolle geraten war. Und so saß er jetzt an seinem Laptop und rief eine private Website innerhalb des Computernetzwerks von Special Projects auf, wo er das Icon BANISH anklickte. Mit diesem Codewort hatte August den Fall Jack Ming versehen. August und Braun waren die beiden Einzigen, die Zugang zu dem Ordner hatten.
Er las: Zielperson hat sich telefonisch gemeldet, wird morgen Mittag wieder anrufen wegen Vereinbarung des Treffens.
Also sollte morgen alles erledigt sein. Falls Ming nicht schon tot war, würde er ihn in Gewahrsam nehmen und ihm sagen, dass seine Mutter in einem Safehouse der Abteilung in Sicherheit sei. Er würde sich Mings Beweismaterial aneignen und ihn für immer verschwinden lassen. Der einzige Weg, das Problem aus der Welt zu schaffen.
August könnte ebenfalls einen Unsicherheitsfaktor darstellen, doch eine rasche Versetzung in eine andere Abteilung würde auch dieses Dilemma beseitigen. Er war ein guter Soldat und sicher bereit, seinen Anweisungen zu folgen. Nach ein paar Monaten würde Braun ihn besuchen, zu einem schönen Steak einladen und ihm sagen, dass Novem Soles erledigt sei.
Und niemand würde je erfahren, was geschehen war.
Ricardo Braun dachte über den Hinweis nach, den er zu seinem zweiten großen Thema besaß: Mila. Der Chauffeur hatte vor seinem Tod noch herausbekommen, dass sie sich gelegentlich mit Sam Capra in einer Bar traf. Nicht gerade eine Information, die direkt zu ihr führte.
Es sei denn, Sam Capra legte es darauf an, beschattet zu werden, um zu sehen, wen er damit aus der Reserve lockte.
Das alles wäre natürlich nicht mehr wichtig, sollte Sam Capra morgen bereits tot sein.
Es war im Grunde jammerschade. Er hatte die Capra-Akte genau studiert. Die Welt wusste immer noch nicht, dass der Bombenanschlag in London einem Special-Projects-Team gegolten hatte. Genauso wenig wusste man von dem Verrat einer CIA -Agentin, die ein Kind von einem Kollegen erwartet hatte. Oder davon, dass noch einige andere Verräter der Verlockung des Geldes erlegen waren und gegen die Interessen der Agency arbeiteten. Und dass ein Mann, der als Verräter gebrandmarkt wurde, in Wahrheit der Retter der CIA war. Capra hatte seine Pflicht erfüllt.
Pflicht. Das war für Braun wie die Luft zum Atmen. Die Pflicht war alles. Die Pflicht brachte einen dazu, Grenzen zu überschreiten, Risiken einzugehen, sein Leben hinzugeben und trotzdem den Lohn zu ernten.
Einst hatte Braun Essays und Gedichte zum Thema Pflicht in sein Tagebuch geschrieben, um sich über ihre Bedeutung klar zu
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