Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
werden, doch am Ende hatte er sie alle verbrannt.
Wäre Capra zu seiner alten Abteilung zurückgekehrt, als man es ihm anbot– hätte er also hier seine Pflicht getan–, so wäre das alles nicht passiert. Wirklich jammerschade. Braun wollte Capras Tod nicht. Er war kein Feind, sondern ein Opfer, das man in Kauf nehmen musste. Das war etwas Edleres, dachte Braun.
Jetzt, da Andris, der Chauffeur, tot war und mit Mrs. Ming am Grund des Teiches lag, brauchte er jemand anderen, der sich um Capra und Jack Ming kümmerte. Das Beste an Special Projects war, dass er aufgrund der Sonderstellung innerhalb der CIA nötigenfalls auch Personal außerhalb der Company anheuern durfte. Leute, über die er niemandem Rechenschaft schuldig war. So wie Andris und seine Limousinenvermietung, die von der Company finanziert worden war– mit Mitteln, die Special Projects weißgewaschen hatte.
Oder die beiden Schwestern. Ja, die Schwestern waren eine gute Wahl für morgen. Auf die beiden hatte er sich bis jetzt immer verlassen können.
35
Brooklyn
Jack Ming saß in einem Kino. Es war sein vierter Spielfilm an diesem Tag. Im Kino war es schön still und dunkel, hier konnte er gut nachdenken. Gerade lief eine belanglose romantische Komödie. Er wollte vor allem keine Gewaltszenen sehen. Nach den dramatischen Ereignissen in Amsterdam hätte er keinen Film vertragen, in dem geschossen wurde. In diesem Streifen glaubte der Held, die Mutter seiner Freundin sei scharf auf ihn, was nicht stimmte, doch es war einfach urkomisch. Er hatte auch hier im Kino zu Abend gegessen: Hotdog und Limonade.
Der Verrat seiner Mutter nagte nicht mehr an ihm. Er hätte es wissen müssen. Sie würde ihn nie tun lassen, was er für richtig hielt. Erst nachdem er weggelaufen war, um unter falschem Namen in einem fremden Land zu leben, hatte er sich wirklich frei gefühlt.
Das Notizbuch trug er immer noch an seinem Rücken befestigt. Zuvor, in einer einsamen Ecke eines Starbucks-Cafés, hatte er es wieder durchgeblättert. Kontonummern, Bilder, E-Mail-Adressen. Er studierte das Foto mit den drei Leuten, unter dem stand: Erster Tag in der Kinderstube. Das Wort Kinderstube deutete auf einen Ort hin, an dem etwas gehegt wurde und sich entwickelte. Nur ein Foto von drei Leuten. Doch diese drei verband mit Sicherheit irgendein Geheimnis. Falls hinter Novem Soles tatsächlich neun Leute steckten, dann war das hier ein Drittel von ihnen, und wenn man ein Drittel erwischte, konnte man auch den sechs anderen auf die Spur kommen und ihnen das Handwerk legen.
Jack überlegte, ob er einige der Opfer kontaktieren sollte– Leute, die von der Gruppe erpresst wurden–, entschied sich aber dagegen. Womöglich wären sie aus Angst untergetaucht, und damit hätte dieses Notizbuch an Wert verloren. Auf einer Seite stand nur eine einzige Telefonnummer. Die Verlockung war groß, die Nummer anzurufen. Er war von Furcht und Neugier hin- und hergerissen.
Mehr denn je stand für ihn fest, dass er mit diesem Notizbuch seinen Trumpf in der Hand hielt.
Eins jedoch blieb ihm unklar: Falls seine Mutter die CIA angerufen hatte, warum waren sie dann noch nicht dort, als er hinkam? Warum hatten sie ihn nicht zu Hause geschnappt? Hatten sie zu spät herausgefunden, dass er es war? Zu Hause hätten sie ihn jedenfalls ohne Aufsehen festnehmen können.
Er wusste einfach nicht, was er glauben sollte.
Er brauchte einen Platz zum Schlafen. Ein Hotel kam nicht in Frage. Es gab zu viele, die hinter ihm her waren. Nein, wenn die Obdachlosen draußen schliefen, konnte er es auch. Wenigstens für eine Nacht.
Er verließ das Kino und betrat ein Café. Eine Menge Leute in seinem Alter saßen hier vor ihren Laptops. Manch einer tat so, als schreibe er an einem großen Roman, während er doch nur seine Zeit in den Social Networks vertrödelte. Jack bestellte einen koffeinfreien Kaffee, setzte sich in eine Ecke und schlug das Notizbuch auf. Er starrte die Telefonnummer auf der letzten Seite an.
36
Last Minute Bar, Manhattan
Mila bestellte noch einen Glenfiddich bei Bertrand, dazu ein Schinkensandwich aus der kleinen Küche der Bar. Sie unterbrach ihre Bekenntnisse für Sam– die Geschichte, die sie erst einem einzigen Menschen anvertraut hatte– und startete auf ihrem Laptop die Tracking-Software, die ihr verriet, wohin Sam unterwegs war.
Sie studierte die Route: von der Last Minute Bar zu einem Hotel in Greenwich Village, anschließend zu einem Nachtclub und weiter zum nächsten Hotel. Sie konnte
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