Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Odyssee

Die letzte Odyssee

Titel: Die letzte Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
Vom Netzwerk:
Elementen stattgefunden, die auf keiner anderen Welt im Sonnensystem direkt miteinander in Berührung kamen. Der Krieg zwischen Meer und Weltraum endete stets mit dem gleichen Patt; das freiliegende Wasser kochte und gefror zugleich und stellte den Eispanzer wieder her.
    Ohne den Einfluß des nahegelegenen Jupiter wären Europas Meere schon vor langer Zeit bis auf den Grund zugefroren. Doch seine Schwerkraft knetete den Kern der kleinen Welt ununterbrochen; die gleichen Kräfte, die Io in Krämpfe versetzten, waren, freilich viel weniger heftig, auch hier am Werk. Überall in der Tiefe waren Spuren des Tauziehens zwischen dem Planeten und seinem Satelliten zu erkennen, das ständige Brüllen und Donnern submariner Erdbeben, das Zischen entweichender Gase aus dem Inneren, die Druckwellen von Lawinen, die mit Infraschallfrequenzen durch die Tiefseebecken fegten. Verglichen mit dem stürmischen Ozean, der Europa bedeckte, waren sogar die Meere der Erde still.
    Hier und dort gab es in den Wüsten der Tiefe Oasen, die jeden terrestrischen Biologen in helle Begeisterung versetzt hätten. Sie erstreckten sich kilometerweit um ein Gewirr von Rohren und Kaminen, Ablagerungen von Mineralsolen, die aus dem Inneren hervorsprudelten. Oft bildeten sie natürliche Parodien auf gotische Schlösser, aus deren Mitte in langsamem Rhythmus wie von einem mächtigen Herzen schwarze, siedend heiße Flüssigkeiten emporgepumpt wurden. Genau wie Blut waren auch diese brodelnden Flüssigkeiten ein untrügliches Zeichen für das Vorhandensein von Leben.
    Sie drängten die tödliche Kälte zurück, die von oben herabsickerte, und ließen auf dem Meeresboden Inseln der Wärme entstehen. Und sie förderten, was nicht minder wichtig war, aus Europas Innerem alle chemischen Zutaten des Lebens zutage. Solch fruchtbare Oasen, die Nahrung und Energie im Überfluß boten, hatte man im 20. Jahrhundert auch in den Ozeanen der Erde entdeckt. Doch hier waren sie in ungleich größerem Ausmaß und größerer Vielfalt vorhanden.
    Zarte, spinnwebfeine Gebilde, die an Pflanzen erinnerten, gediehen in den ›tropischen‹ Zonen ganz nahe an den Wärmequellen. Dazwischen krochen bizarre Schnecken und Würmer umher, manche ernährten sich von den Pflanzen, andere bezogen ihre Nahrung direkt aus dem mineralgesättigten Wasser. In größerem Abstand vom submarinen Feuer, an dem sich alle Geschöpfe wärmten, gab es gedrungenere, robustere Organismen, vielleicht mit Krebsen oder Spinnen zu vergleichen. Ganze Heerscharen von Biologen hätten ihr Leben damit zubringen können, eine einzige, kleine Oase zu studieren. Anders als die irdischen Meere des Paläozoikums war diese Umgebung nämlich nicht stabil, daher hatte die Evolution hier erstaunlich rasche Fortschritte gemacht und eine Unzahl der phantastischsten Formen hervorgebracht. Und alle existierten sie nur auf Widerruf; früher oder später, wenn die energiespendenden Kräfte sich verlagerten, würde jede dieser Lebensquellen schwächer werden und schließlich versiegen. Anzeichen solcher Tragödien fanden sich allenthalben auf Europas Meeresgrund. Zahllose kreisrunde Flecken waren übersät mit Skeletten und mineralverkrusteten Rückständen toter Lebewesen. Ganze Kapitel der Evolution waren hier aus dem Buch des Lebens getilgt worden. Einige hatten als einziges Andenken eine leere Schale hinterlassen, trompetenförmig gewunden und größer als ein Mensch. Muscheln gab es in vielen Formen – zweischalige und sogar dreischalige, aber auch metergroße, versteinerte Spiralen – genaue Abbilder der herrlichen Ammonshörner, die gegen Ende der Kreidezeit unter so rätselhaften Umständen aus den Meeren der Erde verschwunden waren.
    Zu den größten Wundern der europanischen Tiefe gehörten die Ströme weißglühender Lava, die aus dem Innersten submariner Vulkane quollen. In dieser Tiefe war der Druck so hoch, daß das Wasser, wenn es mit dem rotglühenden Magma in Berührung kam, nicht zischend verdampfen konnte und die beiden Flüssigkeiten zu einem unruhigen Burgfrieden gezwungen waren.
    Hier hatte sich auf einer anderen Welt und mit fremden Akteuren lange vor dem Erscheinen des Menschen ein ähnliches Drama abgespielt wie in Ägypten. Wie der Nil einem schmalen Wüstenstreifen Leben bringt, so hatte dieser Wärmestrom Europas Tiefen mit Leben erfüllt. An seinen Ufern war auf einem höchstens zwei Kilometer breiten Band eine Gattung nach der anderen entstanden, aufgeblüht und wieder verschwunden. Und einige

Weitere Kostenlose Bücher