Die letzte Odyssee
vor zwanzig Jahren hatte HALman, wenn auch nur ganz kurz, mit ihm gesprochen. Poole war überzeugt davon, daß sich das Treffen jederzeit wiederholen ließe, wenn HALman wollte. Aber vielleicht war er an den Menschen nicht mehr interessiert? Hoffentlich nicht, dachte Poole, obwohl das eine Erklärung für sein Schweigen sein könnte.
Mit Theodor Khan hatte er häufig Kontakt – der Mann war so aktiv und so sarkastisch wie eh und je. Inzwischen vertrat er das Europa-Komitee auf Ganymed. Seit Poole zur Erde zurückgekehrt war, hatte Khan immer wieder vergeblich versucht, Verbindung zu Bowman aufzunehmen. Er konnte nicht begreifen, warum er auf seine langen Listen mit wichtigen Fragen zu historischen und philosophischen Themen nicht einmal eine kurze Empfangsbestätigung erhielt.
»Hält der Monolith deinen Freund HALman so auf Trab, daß er mit mir nicht sprechen kann?« beklagte er sich bei Poole. »Was treibt er denn die ganze Zeit?«
Das war eine durchaus vernünftige Frage; und die Antwort kam – wie ein Blitz aus heiterem Himmel – von Bowman selbst. Er meldete sich auf ganz normalem Wege per Bildtelefon.
33
Kontakt
»Hallo, Frank. Hier spricht Dave. Ich habe eine sehr wichtige Nachricht für dich. Ich nehme an, daß du dich derzeit in deiner Suite im Afrikaturm aufhältst. Wenn du da bist, identifiziere dich bitte, indem du mir den Namen unseres Dozenten in Himmelsmechanik nennst. Ich warte sechzig Sekunden, wenn ich bis dahin keine Antwort erhalte, versuche ich es in genau einer Stunde noch einmal.«
Poole hatte Mühe, sich binnen einer Minute von seinem Schrecken zu erholen. Doch Freude und Staunen wurden rasch von einem anderen Gefühl verdrängt. So glücklich er war, wieder von Bowman zu hören, die Wendung ›eine sehr wichtige Nachricht‹ war ihm nicht geheuer.
Nur gut, dachte Poole, daß er nach einem der wenigen Namen gefragt hat, an die ich mich erinnere. Wer könnte diesen Schotten mit dem penetranten Glasgow-Akzent, den sie in der ersten Woche kaum verstanden hatten, auch je vergessen? Aber als Dozent war er brillant gewesen – wenn man sich erst einmal an seine Aussprache gewöhnt hatte.
»Dr. Gregory McVitty.«
»Akzeptiert. Schalte jetzt bitte den Empfänger deines Zerebralhelms ein. Es dauert drei Minuten, die Nachricht herunterzuladen. Du brauchst nicht mitzuhören: die Daten sind auf ein Zehntel komprimiert. Die Übertragung beginnt in zwei Minuten.«
Wie macht er das nur? fragte sich Poole. Jupiter/Luzifer war derzeit mehr als fünfzig Lichtminuten entfernt, die Nachricht mußte also vor mehr als einer Stunde abgegangen sein. Man hatte sie wohl, mit der richtigen Adresse versehen, auf einem intelligenten Informationsträger in den Ganymed-Erde-Strahl eingeschleust – für HALman, der im Inneren des Monolithen offenbar unbegrenzte Energien anzapfen konnte, sicher eine Kleinigkeit.
Das Lämpchen am ›Hirnkasten‹ begann zu flackern. Die Nachricht wurde eingespielt.
HALman hatte die Daten so stark verdichtet, daß Poole in Realzeit eine halbe Stunde gebraucht hätte, um sie aufzunehmen. So wußte er schon nach zehn Minuten, daß diese friedliche Phase seines Lebens jäh zu Ende gegangen war.
34
Das Urteil
In einer Welt mit einem globalen, verzögerungsfreien Kommunikationsnetz war es sehr schwierig, irgend etwas geheimzuhalten. Dabei war Poole von Anfang an klar, daß diese Angelegenheit nur in persönlichem Gespräch erörtert werden konnte.
Das Europa-Komitee hatte zunächst gemurrt, doch schließlich hatten sich alle Angehörigen in Pooles Appartement eingefunden. Es waren sieben – eine Glückszahl, die sicher auf die Phasen des Mondes zurückging und die Menschheit von jeher fasziniert hatte. Drei Komiteemitglieder hatte Poole bei dieser Gelegenheit zum erstenmal getroffen, obwohl er sie inzwischen alle sehr viel besser kannte, als es vor der Erfindung des Zerebralhelms jemals möglich gewesen wäre.
»Vorsitzende Oconnor, verehrte Angehörige des Komitees – bevor ich die Botschaft weitergebe, die ich von Europa erhalten habe, möchte ich ein paar Worte sagen – ich verspreche ihnen, ich fasse mich kurz. Und ich möchte es verbal tun, das fällt mir leichter – mit der direkten Gedankenübertragung werde ich mich wohl leider nicht mehr anfreunden.
Wie Sie alle wissen, sind Dave Bowman und HAL in dem auf Europa befindlichen Monolithen als Emulationen gespeichert. Offenbar bewahrt der Monolith jedes Werkzeug auf, das ihm einmal nützlich war. HALman wird von Zeit
Weitere Kostenlose Bücher