Die letzte Offenbarung
»Und das Passwort?«
Sie grinste nur vielsagend.
»War sonst noch was drin?«, murmelte er.
»Wer ist eigentlich Raffaella?«, fragte sie interessiert.
Raffaella , das war es! »Eine Kollegin«, erwiderte er würdevoll. »Eine hervorragende Wissenschaftlerin, mit der ich wegen der Ergebnisse einer Tagung in Kontakt stehe.«
»Muss eine recht kurzweilige Tagung gewesen sein.« Sie lächelte schief.
Amadeo verzog das Gesicht. »Und? Wer ist nun unser Kontaktmann? Hat sich Helmbrecht noch einmal gemeldet?«
»Bisher nicht.« Sie seufzte. »Jedenfalls bis vor einer halben Stunde nicht. Wir können gleich noch einmal nachschauen. «
»Dann essen wir doch erstmal einen Happen«, schlug Amadeo vor. »Und danach machen wir uns fertig für die Dombibliothek.«
XLVI
Die Dombibliothek befand sich keine zehn Minuten vom Hospiz entfernt, zum Dom selbst war es noch ein Stück weiter. Amadeo bedauerte das, denn er hatte die große Kathedrale noch nie von innen gesehen, sondern nur einmal, vor Jahren, vom Hauptbahnhof aus bestaunt, als er einen kurzen Aufenthalt hatte. Der Dom erhob sich nämlich direkt nebenan — ein Teil der Gleisanlagen war sogar in den Fuß des Domhügels gegraben.
Die Bibliothek war weniger eindrucksvoll. Im postmodernen Architekturstil waren mehrere ältere Gebäudeteile zusammengefasst worden, und mit den schräg zurückweichenden roten Ziegeldächern erinnerte Amadeo das Ganze ein wenig an einen Ferienclub.
»Sie haben hier wohl auch keine Kontakte?«, fragte er Rebecca.
Die versprochene E-Mail des Professors war noch immer nicht eingetroffen. Amadeo sagte es nicht, aber er machte sich Sorgen. Diese Unzuverlässigkeit war so gar nicht Helmbrechts Art. Der Professor war zwar zerstreut und auf seine ganz eigene Art oft unberechenbar, doch was er versprach, das hielt er auch.
Welche Umstände auch immer für die Verzögerung verantwortlich waren: Ihnen blieb keine Zeit, auf Nachricht von Helmbrecht zu warten. Sie konnten nicht sicher sein, ob die Männer in den dunklen Anzügen ihre Fährte wirklich verloren hatten. Schließlich waren sie auch in St. Gallen auf Amadeos Spur gekommen und waren ihnen bis Oxford, ja, bis vor die Türen des Londoner Motels auf den Fersen geblieben. Jeder Augenblick der Verzögerung konnte ein Augenblick zu viel sein. Rebecca hatte eine Weiterleitung auf ihr Handy eingerichtet, und sobald Helmbrecht sich meldete, würden sie es erfahren.
Die junge Frau schüttelte ihre Mähne, und die Kölner Vormittagssonne zauberte verwirrende Reflexe in das Rot. In der Dreiviertelstunde, die sie gebraucht hatte, bevor sie sich auf den Weg machen konnte, musste sie irgendetwas damit angestellt haben. Jedenfalls sah sie nicht aus wie eine Frau, die gestern Abend in eine Schießerei verwickelt gewesen war. Dazu noch die halbe Stunde, die sie in der Boutique verbracht hatten, um Rebecca einen Hosenanzug und Amadeo das dritte Sakko in drei Tagen zu kaufen — inzwischen ging es auf Mittag.
Sie hatten den gesamten Vormittag verloren, doch insgeheim war Amadeo froh über die erzwungene Pause, denn das Atmen bereitete ihm noch immer Schwierigkeiten. Er befand sich in einem Zustand irgendwo zwischen ununterbrochener Anspannung und absoluter Erschöpfung. Eigentlich war es eine Mischung beider Zustände, eine schwer erträgliche Mischung.
Sie traten ein und gelangten zunächst in das Foyer eines Tagungshauses. Linker Hand führte eine Tür in die eigentliche Bibliothek.
Rebecca las das Schild mit den Öffnungszeiten. Keine Mittagspause. Das war gut. »Wenn wir keinen Ansprechpartner haben, werden wir uns notgedrungen auf die Ausweise verlassen müssen. — Die sollten uns einige Türen öffnen«, fügte sie leiser hinzu, während sie genau das tat, nämlich die Tür zu öffnen. »Und denken Sie dran: Sie heißen Ferdosi.«
Vor ihnen lag ein heller, gefliester Eingangsbereich, quer gegenüber die Ausleihtheke, und rechter Hand führte eine Treppe in die oberen Stockwerke. Hinter der Theke stand ein Herr in feinem Hemd und erlesener Krawatte. Die Haare fesch zurückgegelt hätte er auch an eine Hotelrezeption gepasst.
»Guten Morgen«, grüßte Amadeo.
»Guten... Amadeo?« Der Mann blinzelte. »Amadeo Fanelli? Das gibt's doch nicht!«
Der Restaurator kannte das Gesicht. Er kannte auch den Mann, allerdings sah er anders aus als in seiner Erinnerung. Vollkommen anders. Dieser Aufzug, diese Haare! Er kannte den Mann aus Weimar. Nur der Name...
»Steffen!«, sagte der andere. »Steffen
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