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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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nicht die ganze Wahrheit , kamen Amadeo die Worte des Johannes in den Sinn. »Ist es«, erwiderte er knapp.
    »Schau an«, murmelte Görlitz und spähte an Amadeo vorbei, doch Rebecca war noch nicht zu sehen. »Sag mal«, er betrachtete seine manikürten Fingernägel, »würd's dir dann was ausmachen, wenn ich mein Glück bei ihr versuche? Ich hab das Gefühl, als ob da was am Knistern ist zwischen uns.«
    Amadeo umklammerte seine Sushigabel so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Er konnte nur hoffen, dass der andere es nicht bemerkte. »Du kannst es ja versuchen«, sagte er seufzend. »Ich fürchte, du wirst da nicht viel Glück haben. Soweit ich weiß, na ja ... sie ist vermutlich lesbisch. «
    »Oh«, machte Görlitz und räusperte sich. »Der Mensch wächst bekanntlich mit seinen Herausforderungen, nicht wahr? Glaub mir, es ist fürchterlich, gerade hier in Köln. Alle Frauen lesbisch, alle Kerle schwul. Da kommt man schon ins Grübeln, wenn man die alten Manuskripte in der Hand hält. Irgendwie muss es damals einfacher gewesen sein. Anders.«
    »Kommt auf die Manuskripte an«, murmelte Amadeo.
    Sein Gegenüber ging zum Glück nicht darauf ein, und im selben Augenblick erschien auch Rebecca wieder neben dem Büffet. Görlitz hob bereits die Hand und winkte dem Kellner. Das Personal war aufmerksam, das musste man ihm lassen. Amadeos ehemaliger Kollege beglich die Rechnung, gab ein fürstliches Trinkgeld und schlug dann vor, den beiden den Dom zu zeigen.
    Es war ein angenehmer Spätsommernachmittag, die Fußgängerzone war vollgestopft mit Menschen, die Einkäufe erledigten, umherbummelten oder es sich ganz einfach zum Ziel gemacht hatten, zu verhindern, dass irgendjemand in normalem Tempo vorankam.
    Als sie die Sushibar verlassen hatten, hatte Amadeo noch einmal leise gefragt, ob Helmbrechts Mail endlich eingetroffen sei, doch Rebecca hatte nur mit finsterer Miene den Kopf geschüttelt. Allmählich wurde er wirklich unruhig. Nur welchen Grund hätten sie gehabt, Helmbrecht auf einmal etwas anzutun? Wir haben zwei ihrer Männer getötet, dachte er. Ist das nicht Grund genug? Trotzdem ergab alles keinen Sinn. Nichts ergab einen Sinn.
    Amadeo kniff die Augen zusammen. Vor dem Schaufenster eines Herrenausstatters standen zwei Männer in dunklen Anzügen. Unauffällig — und vorsichtig — ging er näher heran, bis Görlitz fragend seinen Namen rief. Aber da hatte Amadeo schon festgestellt, dass die beiden keine Ringe an den Fingern trugen, jedenfalls keine mit roten Steinen.
    »Nette Hemden«, sagte er erklärend.
    Görlitz sah hinüber zum Schaufenster. »Bisschen arg konservativ, oder?«
    Amadeo blickte ihn unschuldig an. »Wir sind ja nicht gerade Werbetexter oder so was.«
    Der andere ging nicht darauf ein. »Das ist unser Dom«, sagte er und wies nach oben. Er ist schwer zu übersehen, dachte Amadeo. »Und das sind unsere Pflastermaler.« Mit einer ausladenden Handbewegung umschrieb der Deutsche den weiten Platz vor der Westfassade. »Und unsere Tauben«, fügte er hinzu.
    Amadeo bekam eine Gänsehaut, als er an Oxford dachte und an Sheldon. Sie wussten eigentlich gar nichts über Sheldon, der jetzt tot war, weil er versucht hatte, ihnen zu helfen. Hatte er eine Frau gehabt? Kinder? War er beliebt gewesen bei seinen Kollegen? Mit Sicherheit hätte er etwas Besseres verdient gehabt, als zwischen Taubenkot auf den Stufen der Radcliffe Camera zu verrecken in einem geheimen, unerklärten Krieg, von dem er nichts wusste. Nicht einmal, dass er überhaupt geführt wurde.
    Wir wissen wenigstens, dass Krieg ist, dachte Amadeo. Ein Krieg um die Wahrheit. Und, für die Kirche, ein Krieg um ihre Zukunft. Er sah an den Tausenden von Türmchen, Fialen und steinernen Details der gotischen Fassade empor. Mehr als sechshundert Jahre von der Grundsteinlegung im dreizehnten Jahrhundert bis zur Fertigstellung im Jahre achtzehnhundertachtzig — und doch nur ein Abschnitt in der langen Geschichte der Kirche. Zweitausend Jahre, dachte er, zweitausend Jahre, ohne die volle Wahrheit zu kennen.
    Nur was bedeutete diese Wahrheit überhaupt? Machte sie Jesus von Nazareth zu einem schlechteren Menschen? Nicht in unserer Zeit, dachte er und beobachtete eine Gruppe von jungen Leuten mit Rucksäcken, ausgeblichenen Jeans und trendigen Frisuren. Ein Punker war dabei, mit grünem Irokesenschnitt, und zwei von den jungen Mädchen waren echte Schönheiten. Alle trugen sie T-Shirts mit dem Konterfei von papa Pio. Ist das unser

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