Die letzte Offenbarung
Rekonstruktion ist nun mal eine Rekonstruktion und nicht das Original. Ich konnte ihn retten, aber frag nicht, was das für eine Arbeit war. Gerade bei dem Zeitdruck wegen der Ausstellung.«
»Welche Ausstellung?« Bitte nicht schon wieder, betete Amadeo.
»Unsere Ausstellung in der Domschatzkammer, sie läuft noch bis November. Solltet ihr euch unbedingt ansehen!«
»Wir wollten eigentlich nur den Boëthius sehen.« Amadeo nahm einen Schluck lauwarmen Kaffee, und erst jetzt bemerkte er eine bittere Note.
»Hm«, grübelte Görlitz. »Das könnt ihr. Wenn ihr wollt, können wir gleich rübergehen, nur ist er natürlich hinter Glas im Augenblick. Die Sicherheitsmaßnahmen sind enorm seit dem Einbruch damals.«
»Es gab einen Einbruch?«, fragte Amadeo.
»Ach.« Görlitz winkte ab und strich sich durchs gegelte Haar. »Über zwanzig Jahre her. Da gingen Sie noch nicht zur Schule«, fügte er mit einem Blick auf Rebecca an.
Amadeo drängte das Bild beiseite, wie er seine Sushigabel in Görlitz' manikürter Hand versenkte.
»Eine interessante Geschichte«, murmelte der Gegelte. Anscheinend liebte er interessante Geschichten, so lange er es war, der sie erzählte. »Es waren drei Einbrecher. Sie sind mit Strickleitern an der Nordfassade hochgeklettert und haben sich durch einen Lüftungsschacht in die Schatzkammer hinabgelassen, die damals im nördlichen Querschiff untergebracht war. Die Beute war höchst beachtlich. Natürlich keine von unseren Handschriften — die liegen ja für gewöhnlich nicht in der Schatzkammer —, aber kostbare Weihegegenstände: Monstranzen, Kruzifixe und solche Sachen. Schon der Materialwert war enorm, und auf den kam es ihnen wohl an.«
»Eingeschmolzen kann kein Mensch die Spur zurückverfolgen«, murmelte Rebecca.
»So ist es«, erwiderte Görlitz. »Als man sie schließlich fasste, war ein großer Teil der Beute schon nicht mehr da. Es soll damals übrigens wichtige Tipps aus der Kölner Unterwelt gegeben haben. Das ging wohl gegen die Ganovenehre. Wir haben besonders fromme Verbrecher hier in Köln.«
»Das ist in Rom nicht anders«, warf Amadeo ein. Der Vatikan ist voll davon, dachte er, verzichtete jedoch darauf, es laut zu sagen.
»Vor einigen Jahren ist die Schatzkammer wieder eröffnet worden«, fuhr Görlitz fort. »In den Gewölben unter dem Dom, die bis auf die alten römischen Fundamente gehen. Definitiv eines der sichersten Museen der Welt.«
Rebecca nickte, doch sie wirkte ein wenig enttäuscht. Amadeo hatte eine Ahnung, was ihr gerade durch den Kopf gegangen war, und war erleichtert, dass sie den Gedanken offenbar nicht weiterverfolgte. Wenn sie an den Boëthius heran wollten, gab es nur einen Weg: Görlitz.
»Wir haben also keine Chance?«, fragte Amadeo. »Du weißt selbst am besten, dass man den Codex in der Hand gehabt haben muss, um ihn zu beurteilen. Von unserem Hortulus ist wirklich nicht mehr viel übrig — ich habe absolut keine Ahnung, wie der Einband ausgesehen hat. Es wäre eine einmalige Chance für uns.«
Görlitz reckte sich genüsslich in seinem Stuhl und legte die Hand vor den Mund. »Entschuldigung«, gähnte er. »Es ist seltsam, aber Kaffee macht mich müde. Aaaaaaaaaaaaaalso«, sagte er dann gedehnt. »Ich denke, ich könnte da vielleicht etwas tun, allerdings nicht sofort.« Er blickte auf seine Armbanduhr, die sehr teuer aussah. »Die Domschatzkammer schließt um sechs, und bis das Personal verschwunden ist, dürften wir's...« Er wiegte den Kopf hin und her. »Sagen wir, gegen halb acht.« Er bürstete einen unsichtbaren Fussel von seinem Ärmel. »Natürlich habe ich die Schlüssel.«
Amadeos Herz klopfte: »Du würdest uns...«
Görlitz' Grinsen war mindestens so ölig wie sein Haar. »Wie könnte ich das einem so alten Freund und seiner so zauberhaften Begleitung abschlagen?«
Einige Minuten später entschuldigte sich Rebecca und verschwand in Richtung Toiletten.
Kaum war sie außer Sicht, als Görlitz Amadeo breit angrinste. »Da hast du dir aber eine ganz schöne Granate eingefangen«, meinte er. »Respekt, Respekt, mein Lieber. Wusste gar nicht, dass das dein Typ ist.«
Amadeo hatte keine Ahnung, was Görlitz für seinen Typ hielt, vor allem aber konnte er sich nicht erinnern, den anderen in Weimar jemals mit einer Frau gesehen zu haben.
»Sie ist eine Kollegin«, gab er steif zurück. »Es ist eine angenehme Zusammenarbeit.«
»Na, na!« Der Gegelte sah ihm tief in die Augen. »Ist das die ganze Wahrheit?«
Doch das ist
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