Die letzte Prophezeiung: Thriller (German Edition)
gemeinsam mit Juan«, antwortete Teodoro und zeigte auf eine rechteckige Baracke.
Die Menge teilte sich und gab den Weg frei zu der Leiche am Boden. Die Blicke hatten viel von ihrer anfänglichen Feindseligkeit verloren, und das Getuschel war vollständig verstummt. Doornick kniete sich nieder.
Es war ein Junge um die vierzehn. Man hatte sein Gesicht gesäubert, aber die Nasenhöhlen und die Augenränder hingen noch voller Erde. Doornick legte ihm eine Hand auf die Brust. Es war, wie wenn man sich auf einen platten Fußball stützt. Der Brustkorb war eingedrückt. Er stand auf und ging auf die Baracke zu.
Teodoro steckte sich eine Zigarette in den Mund und folgteihm, während Ricardo noch eine Weile stehen blieb. Er wusste, dass die Arbeiter seine Anwesenheit ebenso wenig begrüßten wie die des Gringos, aber er zeigte sich gern als der Mann, der die Flinte in der Hand hielt.
»Ich wundere mich immer, dass keiner aufmuckt«, sagte Doornick im Gehen. »Kein Schmähruf, keine erhobene Faust.«
»Wollen Sie eine Geschichte hören, Jefe?«, fragte Teodoro.
»Eine Geschichte?«, wiederholte der Ingenieur und blieb einige Meter vor der Hütte stehen.
»Ja«, Teodoro machte eine Pause, um sich eine Zigarette anzustecken, »eine Geschichte.«
»Schieß los«, sagte Doornick.
Teodoro nahm einen tiefen Zug und begann zu reden:
»Bevor ihr kamt, hat dieses Land immer den Cardenas gehört, Adeligen mit spanischem Blut. Die Letzte aus der Familie war die
señora
. Bei ihr haben sie aufgemuckt.«
Doornick verstand nicht recht. Er starrte ihn interessiert an.
»Die Señora wurde von ihren Campesinos umgebracht«, fuhr Teodoro fort. »Zu zweihundert haben sie die Villa überfallen und angezündet. Sie ist bei lebendigem Leib verbrannt.«
»Muss ich mit derselben Behandlung rechnen?«
»Nein, Jefe. Die Señora liebte Hunde.« Teodoro machte eine weitere Kunstpause, dann fuhr er fort. »Eines Tages warf sie der Hundemeute einen Diener zum Fraß vor, der bei Tisch den Wein verschüttet hatte.«
»Dann haben sie gut daran getan, sie umzubringen.«
»Es war nicht wegen dieses Dieners. Die Leute hier haben Angst und Geduld.« Teodoro wandte sich der Gruppe von Arbeitern zu. Sie luden gerade den Leichnam auf einen alten Pick-up. »Es hat nicht weniger als vier Menschen gebraucht, die von den Hunden zerfleischt wurden, ehe sie beschlossen, diese alte Irre aus dem Weg zu räumen.«
Dann fixierte er Doornick, der den Blick erwiderte.
»Und wir sind schon bei Nummer drei …«
»Angst und Geduld währen nicht ewig, Jefe.«
Doornick schluckte. »Gehen wir mit dem Bruder verhandeln«, schloss er und ging zur Hütte.
10
Ort: Dublin
Weltzeit: Dienstag, 23. Juni, 10.10 Uhr (GMT)
Ortszeit: 11.10 Uhr
»Gorbatschow? Der russische Ex-Präsident?«, fragte Goonan und wurde blass.
»Ja, abgesehen vom Alter sieht David ihm verblüffend ähnlich«, antwortete Alanna.
Der Inspector atmete scharf durch die Nase ein. »Können Sie bitte einen Moment in der Leitung warten?«, fragte er.
»Ja«, sagte sie.
Goonan drückte auf die Stand-by-Taste und legte den Hörer hin. Er nahm das Sandwich und räumte es schnell zur Seite. Das Ritual konnte warten. Er schob den Aktenstapel, der sich zu seiner Linken erhob, in die Tischmitte, blätterte ihn schnell durch und nahm eine Akte heraus, auf deren Deckel mit Bleistift geschrieben stand: LARRY BOHAN – 22. JUNI. Er schlug sie auf und verteilte die Blätter auf dem Schreibtisch. Dann aktivierte er die Leitung wieder.
»So, bitte, Frau Hamdis, ich muss Ihnen einige Fragen stellen. Zur Präzisierung.«
»Bitte.«
Goonan überflog die erste Seite des Vernehmungsprotokolls. »Was sagt Ihnen ›An Nas‹?«
Alanna schwieg ein paar Sekunden lang. »Annas?«
»Ja, An Nas«, wiederholte Goonan.
Alanna zögerte, ehe sie antwortete, und als sie redete, drückte ihr Ton Unbehagen aus: »Annas bedeutet im Arabischen ›die Menschen‹. Es gibt eine Sure im Koran, die …«
Goonan kratzte sich am Kopf. Wovon zum Teufel redete die Frau? Er unterbrach sie: »Nein, es muss da eine … Verwechslung geben. An Nas ist eine Kleinstadt, etwa dreißig Meilen südlich von hier. Südlich von Dublin, meine ich.«
»Verstehe«, sagte Alanna, noch angespannter. »Aber was hat das mit David zu tun?«
»Haben Sie Ihren Exmann jemals von An Nas reden hören? Der Ort liegt auf dem Land. Womöglich hat er hin und wieder einen Ausflug dorthin gemacht …«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe
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