Die letzte Prophezeiung: Thriller (German Edition)
Millionen Hektar zwischen den Anden und der Küste an Privatleute und Großkonzerne abgetreten worden. Prachtvolles Land, im Übrigen. Land, das sich zum Ackerbau und zur Viehzucht eignete, reich an Wasser und mit einer Luft, so rein wie im Garten Eden. Spekulanten aus aller Welt hatten sich auf dieses Geschäft gestürzt, auch Nationalhelden wie der Fußballer Gabriel Batistuta oder der Fernsehmoderator Marcelo Tinelli hatten sich ihre Scheibe abgeschnitten. Aber das waren Brosamen im Vergleich zu den Latifundien, die große internationale Tycoons gekauft hatten, Leute wie der CNN-Gründer Ted Turner oder die italienischen Benetton-Geschwister, die weltweit bekannt waren für ihre aggressive Werbung gegen Rassendiskriminierung. Und selbst das waren nur Brosamen im Vergleich zum Filetstück, einem Territorium mit Viehweiden, Feldern, Mineral- und Wasservorkommen, die einen ganzen europäischen Staat alt aussehen ließen: der Großgrundbesitz, den Amir Khan Al Ammar erworben hatte, der sechstreichste Mann der Arabischen Emirate und Doornicks Arbeitgeber.
Ricardo nahm die Kurve mit einem solchen Tempo, dass der Jeep sich fast überschlagen hätte.
»
Fucking idiot
«, brummte Doornick in seiner Muttersprache. »Noch so ein Ding, und ab morgen reitest du ein Maultier«, fügte er dann in dem anglo-mexikanischen Kauderwelsch hinzu, das er für Spanisch hielt.
Ricardo scherte sich nicht um die Drohung, sondern nahm eine Hand vom Lenkrad, um nach vorn zu zeigen: »Sieh mal, Boss.«
Rund hundert Meter weiter hatte sich vor der Baustelle Dreiundzwanzig eine dichte Menschentraube gebildet. Esmusste schon wieder passiert sein. Wie gewöhnlich zum Ende der Nachtschicht, wenn sie vor lauter Erschöpfung kaum noch stehen konnten.
Doornick verfluchte das Ingenieursdiplom, das ihm, am Tag nach dem Fall der Berliner Mauer erworben, paradoxerweise gestattete, durch die Weltgeschichte zu reisen und nur neue Mauern zu errichten. Auf die dreitausendzweihundertachtundsechzig Kilometer zwischen Indien und Bangladesch folgte ein weiteres Mauerprojekt, zwischen Mexiko und den USA, anfangs mit über tausend Kilometern geplant und dann vom Senat zurückgestutzt auf »nur« sechshundert, plus achthundert Kilometer Barrieren verschiedenen Typs. Und nun war er hier in Patagonien mit einer neuen Mauer befasst, die für die Augen der Welt nicht so leicht zu erkennen und seiner Meinung nach völlig nutzlos war. Aber was konnte er schon tun? Die Menschheit schien versessen zu sein auf Mauern.
Ingenieur Doornick war inzwischen einer der weltweit größten Experten auf diesem Gebiet, doch obwohl er gerade aufgrund seiner Erfahrung ausgewählt worden war, hatte man ihm diesmal einen aberwitzigen Zeitplan auferlegt. Und dafür würde er jetzt wieder eine Quittung erhalten.
Ricardo bremste und brachte den Jeep etwa zwanzig Meter vor der Menge zum Stehen. Sechzig oder siebzig Arbeiter, die im Kreis standen wie beim Hahnenkampf. Jemand drehte sich um, sah den Jeep und spuckte wütend auf die Erde.
Als Doornick die Hand auf den Türgriff legte, hielt Ricardo ihn auf und deutete mit einem Blick nach hinten. Doornick nickte. Der Fahrer lehnte sich aus dem Sitz und nahm das Gewehr. Die beiden stiegen aus.
Aus der Menge löste sich sofort ein athletischer Typ mit gewaltigen Schultern. Er rempelte ein paar Leute zur Seite und kam in großen Schritten auf den Jeep zu.
»
Qué pasa
, Teodoro?«, fragte Doornick.
»Noch einer,
jefe «
, antwortete der Mann.
Der Ingenieur schaute auf die Gruppe. Sie hatten sich alle zu ihnen umgedreht, und der Kreis hatte sich geöffnet, so dass man die Leiche eines Mannes auf der Erde sehen konnte.
Doornick versetzte der Autotür einen Tritt. Dann stützte er die Hände auf die Kühlerhaube, wobei er den Leuten den Rücken zuwandte und den Kopf zwischen die Schultern zog. Er blieb mindestens eine Minute unbeweglich stehen, bis er sicher war, dass auch jeder seine Reaktion bemerkt hatte.
»Wie ist es passiert?«, fragte er, während er sich umdrehte und sich der Leiche näherte.
Teodoro und Ricardo folgten ihm.
»Ein Stützpfeiler hat nachgegeben. Sie waren zu dritt. Die anderen sind noch rechtzeitig aus der Grube gekommen, aber er hatte keine Kraft mehr«, erklärte Teodoro.
»Der Arzt?«
»Ist an der Baustelle Sechsundzwanzig. Wir haben ihn gar nicht erst gerufen. Er hätte nichts mehr tun können.«
»Hatte der Mann Familie?«
»Keine Frau. Aber einer der Brüder arbeitet hier. Er ist da drüben in der Hütte,
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