Die letzte Prophezeiung: Thriller (German Edition)
schwarzen Lieferwagen und bemerkte sofort einen schmächtigen Mann mit einem Mardergesicht, der daran lehnte und auf ihn wartete.
Es war O’Neil, der Zollbeamte, den er schon mehrmals hatte bestechen müssen. Ein schmieriger Kerl, dem Bandar gerne eine endgültige Lektion erteilt hätte, wenn er nicht eine zweifellos nützliche Funktion erfüllt hätte.
»Wie geht es, Herr Bandar? Haben Ihre Passagiere auch alle den Sicherheitsgurt angelegt?«, fragte der Mann in ironischem Ton, auf den Jet zeigend, der in den Wolken verschwand.
»Guten Tag, O’Neil«, antwortete Bandar trocken und näherte sich ihm.
Der Beamte lächelte merkwürdig. »Auf dem Flugplan sindnur zwei Passagiere angegeben, scheint mir, nicht zwei Passagiere mit einem Freund.«
Der arabische Hüne schob seine rechte Hand unter die Jacke. Der andere wich instinktiv einen Schritt zurück. Bandar zog ein ziemlich dickes Papierkuvert hervor und legte es ihm in die Hand.
»Kein zusätzlicher Freund, stimmt’s?«
20
Ort: Rom
Weltzeit: Mittwoch, 24. Juni, 12.03 Uhr (GMT)
Ortszeit: 14.03 Uhr
Bei dem Zuruf Aldobrandis blieb Liam schlagartig auf der Wendeltreppe stehen und drehte sich um, weil er umkehren wollte. Dabei wäre er fast gestolpert und in die Tiefe gestürzt. Einen Augenblick später wurde sein Hinterteil schon wieder von dem schmalen Stuhl gepeinigt.
»Und, Francesco?«
»Nun, Liam«, wiegelte der Mönch ab, »um ehrlich zu sein … dürfte ich wahrlich nicht …«
»Was dürftest du nicht?«
Aldobrandi fühlte sich sichtlich unwohl. Er setzte sich auf seinem Stuhl zurecht und fing an, mit dem Monokel herumzuspielen. »Weißt du, eine merkwürdige Geschichte über Nicäa taucht auch in der Mitschrift eines … sagen wir … unbedeutenden Prozesses auf. Ein Prozess, der vom Heiligen Offizium in Florenz geführt wurde, Sommer 1739, wenn ich mich recht entsinne. Heute würden wir das einen Nebenanklagepunkt nennen: Der Vorwurf der Hexerei gegen ein Medium.«
»Worum geht es dabei?«
»Wie gesagt, ich dürfte nicht … Das sind … die Dokumente sind geheim …«
Liam sprang auf und warf dabei den Stuhl um. Er stützte dieFäuste auf den Schreibtisch und beugte sich zu seinem Gegenüber vor: »Francesco, versuch mich zu verstehen: Mein bester Freund, mein Meister, ist tot. Und die einzige Spur ist etwas, was mit Nicäa zu tun hat. Ich bitte dich ganz offen um Hilfe.«
Aldobrandi seufzte, noch verlegener. Andererseits hatte er selbst Liam zurückgerufen, und jetzt musste er die Sache durchziehen. Aber nun nagten die Gewissensbisse an ihm, weil er erstmals ein Schweigegelübde brechen würde, welches er vor vielen Jahren abgelegt hatte. Er beschloss, nur das absolut Notwendigste preiszugeben, und bat Liam, sich zu setzen.
»Schwörst du mir, dass du kein Wort von dem, was ich dir sagen werde, je einem anderen anvertrauen wirst?«, fragte er dann.
Liam hatte den Stuhl aufgehoben und sich gesetzt. Er nickte. »Sicher, Francesco«, sagte er. »Du musst meine Erregung verzeihen. Aber seit vierundzwanzig Stunden sehe ich mich in eine Affäre verwickelt, die eine Nummer zu groß für mich ist.«
»Also, hör gut zu«, fing der Dominikaner ernst an. »Zu jener Zeit war Papst Clemens XII. bereits alt und gebrechlich. Kurz vorher hatte er sich mit seiner Bulle ›In Eminenti Apostolatus Specula‹ gegen die aufkommenden Freimaurerlogen gestellt. Diese Verurteilung führte
ipso facto
zur Exkommunikation eines jeden, der sich mit diesen Gruppen und Zirkeln einließ. In Wahrheit wurde die Bulle vom äußerst einflussreichen Florentiner Kardinal Neri Corsini angeregt, wenn nicht sogar verfasst. Er war der Neffe des Papstes und der letzte große Fürsprecher der Heiligen Inquisition. Großherzog Gian Gastone war gerade erst gestorben, dahingerafft von seinen Ausschweifungen, und man sah der Krönung seines Nachfolgers entgegen, jenes Franz Stephan, der fürderhin dem Geschlecht der Habsburg-Lothringer vorstehen sollte.«
Er unterbrach sich, um Atem zu schöpfen, und fuhr fort: »In diesem vorübergehenden Machtvakuum konnte Corsini sein Glück gar nicht fassen, weil er den Gerichten des Heiligen Offiziums wieder ihren alten Glanz verleihen durfte. Er schwenkte die Bulle seines Onkels und blies regelrecht zur Jagd auf die Freimaurer. Das berühmteste Opfer war Tommaso Crudeli, ein impertinenter Aufklärer, der von der Schwindsucht dahingerafft wurde, während er in den großherzoglichen Bleikammern schmachtete, in Erwartung eines
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