Die letzte Reifung
Ausrottung bewahren.
Der Professor würde nicht alleine in Lyon auftauchen, er hatte einen Köder eingepackt, um Monsieur Bourcin hervorzulocken. Davide Aleppo, den jungen Käser aus Korsika. Praktischerweise besaß der junge Mann einen Führerschein, und der Mietwagen war schnell organisiert. Wie sich auf der zweistündigen Fahrt Richtung Süden herausstellte, war Davide gelernter Metzger (was ihm die Hochachtung von Pit eingebracht hätte), hatte nach dem Tod seines Vaters aber den Familienbetrieb übernehmen müssen. Heute konnte man sagen: Davide hatte ihn gerettet. Sein Käse fand sich mittlerweile in vielen Spitzenrestaurants von Frankreichs Süden, für dieses Jahr plante er die Eroberung der restlichen Grande Nation. Eine echte Erfolgsstory.
Zuerst gab es eine Führung durch den riesenhaften Komplex, der Bietigheim an Louis de Funès' Geniestreich Brust oder Keule erinnerte. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn aus irgendeinem Schlauch grüner Plastikbrei geströmt wäre, den ein stahlglänzender Frombel-Roboter in Käseform presste. Davide Aleppo dagegen schien ehrlich beeindruckt zu sein von den diversen Produktionsstufen. Am Ende der Führung gab es sogar eine Käseverkostung.
Frombel war großzügig.
Dreiundzwanzig Käse wurden präsentiert. In Form, Farbe und Konsistenz glich keiner dem anderen.
Das Besondere daran: Sie schmeckten alle gleich. Nämlich nach nichts.
Die Probenleiterin im Laborkittel schwafelte trotzdem von nussigen, grasigen und fruchtigen Noten. Vermutlich hatte sie noch Reste vom Frühstück zwischen den Zähnen.
Beim letzten Käse trat dann ein Mann hinzu, bei dessen Anblick der Professor beinahe einen Schock erlitten hätte.
Er glich Louis de Funès wie aufs Haar! Im Maßanzug und mit Designerbrille.
Bietigheim unterdrückte ein Lachen, was ihm jedoch misslang und ihn zwang, einen Hustenanfall zu simulieren. Wenn der Mann jetzt ein Gespräch mit großer Gestik und den Worten »Nein! Doch! Oooh!« beginnen würde, gelänge ihm nicht einmal mehr dies.
»Sie müssen Monsieur Aleppo sein«, sagte der falsche Louis, kam mit ausgestreckten Armen auf den Professor zu und gab ihm »la bise«. Küsschen links, Küsschen rechts, nein, nicht wirklich Küsschen, ein Hauch, eine Andeutung, sehr französisch, eigentlich berührten sich nur die Wangen und die Lippen spitzten sich in der Luft.
»Ich bin Claude Bourcin, Geschäftsführer von Frombel Europe.«
»Hocherfreut, mein Name ist Bietigheim, ich begleite Herrn Aleppo in beratender Funktion.« Der Professor nickte in Richtung des jungen Käsers.
»Entschuldigen Sie das Missverständnis«, sagte Claude Bourcin mit einem nun noch größeren Lächeln und schüttelte Davide Aleppo die Hand. »Aber ich hatte nicht erwartet, dass ein so junger Mann ein so berühmter Käser sein kann.«
Er klang sogar wie Louis des Funès.
Gespenstisch.
Der Professor hatte seine Hilfskräfte in Hamburg Informationen über Bourcin zusammenstellen lassen, wobei einiges, vor allem über seine genaue Herkunft, noch im Dunkeln lag. Doch so viel war klar: Seine gesamte Karriere hatte in der Lebensmittelindustrie stattgefunden. In der Schweiz war er bei Nestlé angestellt gewesen, eine Zeit lang hatte er für den Konzern in Mittelamerika gearbeitet, wo er neue Märkte erschloss. Bourcin war verheiratet, hatte drei Kinder, alle bereits aus dem Haus, bis auf eine Tochter sämtlich verheiratet. Es existierte eine Homestory in der Modern Living über sein Anwesen in Meyzieu nahe Lyon. Inklusive Badeteich mit Kanada-Enten. Im Hafen von Saint-Tropez lag sein ganzer Stolz, eine Vierzehn-Meter-Hochsee-Segelyacht. Seine Frau Carla engagierte sich für Verbrechensopfer. Sie lebte einen Großteil des Jahres am Meer. Trotzdem führten sie wohl eine glückliche Ehe.
»Und?«, riss Bourcin ihn aus den Gedanken. »Hat Sie unsere kleine Käserei beeindruckt?«
Das hatte sie. So wie Godzilla die Bewohner Tokios beeindruckte, bevor er ihre Häuser platttrat.
»Sehr«, sagte der Professor, den Claude Bourcin allerdings nicht mehr beachtete.
»Darf ich Sie beide zu einem Kaffee einladen? In meinem Büro?«
Er wies lächelnd auf die Tür, doch sein Büro lag nicht dahinter. Es befand sich im obersten Stockwerk, wohin endlose Wege zurückzulegen waren. Die Zeit füllte Monsieur Bourcin mit routiniertem Small Talk.
»Treten Sie bitte ein«, sagte der Herr des Hauses schließlich und öffnete die Tür zu seinem Reich.
Es gab Hallenbäder, die kleiner waren.
Der Kaffee stand
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