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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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biß sich auf die Lippe, um einen Aufschrei zu unterdrücken. Er schaute in dem Dämmerlicht nach unten und sah, daß er einem Tiermann auf den Fuß getreten war. Sein Herz raste. Dann gab der Tiermann ein Seufzen von sich, rollte sich auf die Seite, schmiegte sich an einen schlummernden Jagdhund, und es herrschte wieder Ruhe. Travis atmete erleichtert auf und ging weiter.
    Er kam zu einer Seitentür – der Tür, durch die Trifkin Moosberes Schauspielertruppe vorhin verschwunden war. Er stieß die Tür auf, dankbar, daß sie nicht quietschte, dann trat er hindurch und schloß sie hinter sich. Er fand sich in einem schmalen Korridor wieder. Wo in der Halle die Hitze des Feuers in Verbindung mit den Hunden und den Menschen für Wärme gesorgt hatte, strahlten die Steine hier winterliche Kälte aus. Am einen Ende des Korridors erblickte er einen Alkoven, in dem, wie ihm seine Nase verriet, sich der Abort befand. Am anderen Ende öffnete sich ein kleiner Torbogen, hinter dem eine Wendeltreppe hinaufführte. Travis ging zur Treppe. Die Stufen waren hoch und schmal, und der Aufstieg machte ihn etwas schwindelig. Am oberen Ende der Treppe befand sich ein weiterer Torbogen, hinter dem ein Korridor lag, der dem unten ähnelte. Die eine Wand wurde von Türen gesäumt, die in Zimmer führen mußten, die genau über der großen Halle lagen. Bis auf einen schmalen Strich goldenen Lichts, der unter der letzten Tür hervorschimmerte, herrschte in dem Korridor Dunkelheit.
    Diesmal war der Laut unverwechselbar. Als er sich der Tür näherte, hing Glockengeläut in der Luft, gefolgt von Gelächter, das so klar war wie das Wasser einer Bergquelle. Erst als Travis vor der Tür stehenblieb, wurde ihm bewußt, daß er am ganzen Leib zitterte. Ein Lichtstrahl quoll durch das Schlüsselloch. Bevor ihm überhaupt bewußt wurde, was er da tat, hatte er sich auch schon niedergekniet und spähte durch das Loch in das dahinter befindliche Gemach.
    Als erstes fiel ihm auf, daß der Raum in eine Helligkeit getaucht war, die die Farbe von Sonnenlicht hatte, das einen Wald durchströmte. Dann registrierte er, daß es für dieses Licht keine erkennbare Quelle gab: keine in Haltern steckenden Kerzen, keine Fackeln an den Wänden, keine Öllampen, die an Ketten von der Decke hingen. Das Licht war einfach da. Es füllte das Gemach mit seinem goldenen Schein.
    Trifkin Moosberes Truppe hatte sich in dem Raum versammelt. Auf den ersten Blick schien es nichts Ungewöhnliches zu geben. Das hier war lediglich eine Truppe von Schauspielern, die sich nach ihrer Vorstellung entspannten. Doch je länger Travis durch das Schlüsselloch starrte, um so mehr Dinge erschienen eigenartig. Zum einen hatte keiner der Schauspieler sein Kostüm ausgezogen. Ein paar der Ziegenmänner lagen auf dem Boden und balancierten Weinpokale auf der nackten Brust. Ein anderer Ziegenmann spielte auf einer Schilfflöte eine Melodie, während drei Baumfrauen in einem Kreis lachend um ihn herumtanzten und dabei die wie Äste aussehenden Arme schwenkten. Die junge Schauspielerin, die den Frühling gespielt hatte, lehnte sich auf einem Sofa zurück und summte die Melodie mit, während eine Baumfrau ihr das grüne Haar mit Zweigfingern kämmte. Der alte Mann Winter drehte sich und warf Händevoll seiner weißen Blüten in die Luft. Trifkin Moosbere saß auf einem hohen Sims und thronte über allem wie ein rotwangiger Cherub. Der kleine Mann schwang die kurzen Beine im Takt des unter ihm stattfindenden Tanzes. Er hielt einen silbernen Pokal und strahlte selig wie ein fröhlicher Zecher.
    Travis blinzelte. Plötzlich war er sich nicht mehr so sicher, daß die Schauspieler tatsächlich noch immer ihre Kostüme trugen. Je länger er hinsah, desto stärker wurde seine Überzeugung, daß die krummen Beine der Ziegenmänner nicht mit zottelhaarigen Hosen bedeckt waren, sondern von zottigem Haar. Die Baumfrauen hielten nicht einfach Zweige fest. Ihre Hände und Finger waren Zweige, dünn und biegsam wie Weidenruten. Die weißen Partikel, die der Winter in die Luft warf, zerschmolzen zu diamantenen Wasserperlen, sobald sie den Boden berührten. Und Travis war jetzt fest davon überzeugt, daß die blühenden Reben nicht einfach in das Haar des Frühlings eingeflochten worden waren. Im Gegenteil, sie stellten einen Teil von ihm dar und sprossen mit dem Rest aus der Kopfhaut heraus. Von ihnen allen schien sich allein Trifkin Moosbere nicht von dem Mann zu unterscheiden, der er vorhin in der Halle

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