Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
nicht widersetzen. Selbst wenn du in deinem Herzen weißt, daß Lady Grace an diesem Abend in Gefahr schwebt.«
Ein leises Geräusch ließ ihn innehalten. Er schaute auf. Stille. Drei Herzschläge vergingen. Dann ertönte es wieder: etwas kratzte an der Tür. Konnten es Lady Aryn und ihr Verschwörer sein?
Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, als sich seine Finger um den Griff seines Breitschwerts schlossen. Es war viel zu früh für seine Kameraden, außerdem hätte Lady Aryn nicht angeklopft. Seine Nackenhaare richteten sich steil auf.
»Kommt her«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Kommt her, wenn es mein Blut ist, das ihr sucht!«
Die Tür schwang auf, er zog die Waffe. Es huschte durch die nur ein Stück weit geöffnete Tür und brachte einen Geruch der Fäulnis mit. Das Ding bewegte sich mit einem ungelenken Rhythmus, als würde ihm jeder Schritt Schmerz zufügen. Aber für etwas derart Mißgestaltetes konnte jeder Augenblick der Existenz nur reine Agonie darstellen. Trotz seines Erschreckens berührte Mitleid Durges Herz. Hatte Lord Falken nicht erzählt, daß die Feydrim dem Kleinen Volk angehörten, bevor die Magie des Fahlen Königs sie entstellt hatte?
Um ein Haar hätte ihn das Mitleid umgebracht. Der Feydrim streckte seine spindeldürren Hinterbeine und tat einen Sprung, mit dem er die Hälfte des Raumes durchquerte. Er öffnete die stumpfe Schnauze und entblößte gelbe Reißzähne, zwischen denen strähniger Speichel hing. Er zischte, dann sprang er auf Durges Kehle zu.
In diesem Moment der Ablenkung hatte Durge ihn zu nahe an sich herankommen lassen – er hatte nicht genug Platz, um richtig mit dem Schwert ausholen zu können. Er verfluchte sich. Stein und Bein, langsam wirst du schwerfällig, Durge! Alt und schwerfällig. Was würden die anderen von dir denken, daß du dein Leben so einfach aufgibst? Er stolperte zurück, ignorierte das Feuer, das durch die unnatürliche Position in seinem Knie aufflammte, und brachte das Schwert nach oben. Es lag nur wenig Kraft in dem Stoß – er hatte nicht genug Schwung –, aber der Feydrim mußte zurückweichen, um der scharfen Seite der Klinge zu entgehen. Seine Reißzähne verfehlten ihr Ziel, und Durge fuhr herum.
Jetzt hatte er mehr Platz für die Arbeit.
Er suchte sich mit seinen Stiefeln einen sicheren Stand, spannte die schlanken Beinmuskeln an, und hob das Breitschwert. Die Klinge war so lang, daß er, hätte er die Spitze auf dem Boden abgestellt, das Kinn auf dem Griff hätte aufstützen können. Es gab jüngere Männer, die sie nicht hätten heben können, ohne umzukippen. Für Durge galt das nicht. Trotz seines Alters, seiner Wehwehchen und seiner Müdigkeit waren seine Arme so hart wie der steinige Boden Embarrs. Das Breitschwert sauste sirrend durch die Luft und beschrieb einen Bogen.
Der Feydrim war schnell, aber nicht schnell genug. Er versuchte auszuweichen, aber die Klinge traf ihn an der Seite. Stahl biß sich durch Blut, grub sich durch Knochen. Das Geschöpf quiekte und stürzte zu Boden. Durge zog das Schwert zurück, stolperte und fing sich wieder.
Das Geschöpf lag zu seinen Füßen. Seine Brust hob und senkte sich krampfartig, dunkles Blut tränkte sein verfilztes graues Fell. Es blickte mit gelben Augen zu ihm hoch, die viel zu intelligent für ein Tier waren. Dann flackerte das Licht in diesen Augen noch einmal auf und erstarb. Der Feydrim tat einen letzten Seufzer, so als sei er erleichtert, als habe der Schmerz endlich ein Ende, und lag dann still da.
Durges Herz hämmerte in seiner Brust, und er genoß das Rauschen des Blutes in seinen Adern. Ja, Durge von Embarr hatte noch immer etwas Kampf in sich.
Metall quietschte. Die Tür zum Warteraum schwang ein Stück weiter auf. Eine graue, sich linkisch bewegende Gestalt schlich hinein. Ihr folgte eine weitere, und dann noch mehr, bis insgesamt fünf von ihnen ihre dürren Glieder ausstreckten, scharfe Zähne bleckten und Schmerz und Wut hinauszischten.
Feydrim.
Durge hob das große Schwert und wich zurück. Das in ihm tobende Feuer verbrannte zu Asche, und sein Mund wurde trocken. Ein weiteres dieser Ungeheuer hätte er mühelos besiegen können, drei vielleicht mit Schwierigkeiten. Aber fünf? Wie konnte ein Mann gegen fünf von ihnen antreten? Er verfluchte seine alten Knie, aber sie waren so schwach, daß sie zitterten.
Buckelige Rücken krümmten und streckten sich schlangengleich, die Feydrim rückten vor. Sie ließen sich
Weitere Kostenlose Bücher