Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
sie aufsehen. Eine andere Gestalt stand über sie gebeugt, in schmuckloses Grau gekleidet. Sein Gesicht war hart wie Stein, wütend wie der Sturm, aber selbst in der Dunkelheit konnte sie die Sorge erkennen, die in den braunen Augen funkelte. Er senkte das riesige Schwert, an dessen Schneide Blut entlangströmte.
Das Wort, das sie hervorstieß, war eine Litanei aus Überraschung, Dankbarkeit und Erleichterung. »Durge.«
Er beugte sich herunter und half ihr auf die Füße.
»Travis«, sagte sie. »Er ist verletzt.«
Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als auch schon die anderen kamen. Beltan kniete neben Travis nieder. Melia und Falken blieben in der Tür stehen.
»Wie geht es ihm?« fragte die kleine Frau. Ihre bernsteinfarbenen Augen leuchteten in der Dunkelheit so hell wie die Augen des erschrockenen Kätzchens, das sie in den Armen hielt.
»Aua«, sagte Travis, als Beltan ihm half, sich aufzusetzen. Er hielt sich den Hinterkopf. »Wer hat den Boden dahin getan, wo die Wand sein sollte?«
Beltans Grinsen leuchtete im Halbdunkel. »Ich glaube, er ist in Ordnung, Vathris sei Dank.«
»Du solltest eher seinem harten Schädel danken«, sagte Melia.
»Ihr hattet recht, Durge«, sagte Falken, als er in das Gemach trat.
»Recht? Wieso?« fragte Grace.
»Ich geriet in Sorge um Euch, während wir auf dem Fest waren, Mylady«, sagte Durge. »Man hat Euch schon einmal angegriffen. Und ein Fest, bei dem das ganze Schloß anwesend war, schien eine gute Gelegenheit für einen erneuten Versuch zu sein. Ich wäre früher gekommen, aber es war nicht so einfach, mich aus König Sorrins Gesellschaft freizumachen. Einer seiner Leibwächter war heute abend unauffindbar, und der König fürchtete sich ohne eine ausreichend große Anzahl Ritter um sich herum. Es tut mir leid, daß ich nicht früher kommen konnte.«
Sie lächelte trotz ihres noch immer heftig pochenden Herzens. »Aber Ihr seid gekommen, Durge.«
Er verbeugte sich tief vor ihr.
Falken fachte das Feuer an. Flammen füllten den Raum mit Licht. Beltan half Travis auf das Bett. Der blonde Ritter sah beunruhigt aus.
»Mir tut es auch leid, Travis. Nie bin ich zur Stelle, wenn die, die unter meiner Obhut stehen, in Gefahr sind.«
»Nein, Beltan.« Travis’ Stimme war heiser, aber nachdrücklich. »Du warst genau dort, wo du sein mußtest, an Melias Seite. Du bist ihr Ritter-Hüter.«
Beltan biß sich auf die Zähne, sagte aber nichts. Melia trat heran und untersuchte Travis’ Kopf.
»Ich glaube, du wirst es überleben, Travis. Aber da wächst eine Beule von der Größe Galts heran. Lady Grace sollte mal einen Blick darauf werfen.«
Grace setzte sich in Bewegung, dann hielt sie inne. Die Leiche ihres Angreifers lag ihr im Weg. Falken kniete neben dem Toten nieder und rollte ihn herum.
»Und wer ist das nun?« fragte er.
Melia zeigte auf den Kopf. »Ich glaube, der Teil, der dort drüben liegt, kann uns das eher beantworten.«
Falken grunzte, dann schob er die Kapuze zurück, die eng um den abgetrennten Kopf lag, um das Gesicht zu enthüllen. Es war streng und zerfurcht, mit matten braunen Augen. Grace hatte ihn noch nie zuvor gesehen.
»Medarr.« Durge hörte sich an, als würde er mit den Zähnen Steine zermalmen.
Die anderen blickten den Ritter an.
»Ihr kennt diesen Mann, Durge?« fragte Falken.
»Hier also steckte König Sorrins vermißter Ritter«, sagte der Embarraner mit einem Seufzen.
Melia musterte den Kopf, die Augen zu Schlitzen verengt. »Ihr meint, dieser Mann war Angehöriger von Sorrins Leibwache? Aber warum sollte er Grace angreifen, und dann auch noch in der Kutte eines Rabenanhängers?«
»Er trug nicht nur die Kutte.« Falken hatte den Unterarm des Toten entblößt. Von der bleichen Haut hob sich eine wulstige Brandnarbe ab. »Er ist Mitglied des Rabenkults, da besteht kein Zweifel. Oder er war es zumindest.«
»Gibt es noch andere Zeichen?« fragte Melia.
Falken öffnete die Kutte, die die Leiche verhüllte. »Nein. Allerdings sieht er so aus, als hätte er einige Kämpfe bestanden. Da ist eine häßliche Narbe auf seiner Brust, aber ansonsten …«
»Halt!« rief Grace, als Falken sich anschickte, die Kutte wieder zu schließen.
Die anderen starrten sie an. Falken riß die Hand von der Leiche weg. Sie wollte es nicht sehen, aber sie zwang sich dazu, einen Blick auf die Leiche zu werfen. Die Narbe war dick und rosafarben, sie schlängelte sich die Mitte seiner nackten Brust hinunter. Eine solche Narbe hatte Grace schon
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