Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm
nicht seinetwegen nach Castle City gekommen.«
»Aber was ist mit ihm geschehen?« Travis’ Stimme erinnerte an ein Krächzen. »Wie ist er …?«
Farr holte den Umschlag und zog mehrere Fotos heraus. Er gab sie Travis. Obwohl er sie eigentlich gar nicht ansehen wollte, zwang sich Travis dazu. Die Bilder zeigten geschwärzte Gestalten, die zu schrecklichen Posen verkrümmt waren. Er erinnerte sich an eine Fernsehdokumentation, die er über Pompeji gesehen hatte. Die glühende Asche des Vesuvs hatte Tausende Menschen begraben. Neunzehn Jahrhunderte später hatten Archäologen Gips in die Hohlräume gegossen, in denen ihre Körper verbrannt waren. Diese Abgüsse erinnerten ihn nun an die Gestalten auf den Fotos; jede von ihnen ein perfektes Abbild des letzten Augenblicks des Schmerzes, bevor das Feuer sie verschlang.
Farr streckte die Hand aus, und Travis gab die Fotos dankbar zurück.
»Was ist mit ihnen geschehen?«
Farr sog an seiner Zigarette. »Das ist eine Frage, die wir nur zu gern beantworten würden. Seit Jahrhunderten gibt es Berichte über Fälle von plötzlicher Selbstentzündung, aber die derzeitigen Fälle unterscheiden sich auf subtile Weise von ihnen. Unsere Tests haben gezeigt, daß die erreichten Temperaturen weitaus höher sind als bei vorangegangenen Fällen. Trotzdem wurde bei fast allen Opfern der Körper nicht von der Hitze vernichtet. Statt dessen fanden wir ausgeprägte Veränderungen der Morphologie, der Zusammensetzung der organischen Chemie und sogar der DNS-Struktur. Der Mann, der Ihr Etablissement betrat, gehört zu den Ausnahmen, da er völlig konsumiert wurde. In allen anderen Fällen sind die Opfer eigentlich nicht richtig verbrannt, sondern vielmehr … verändert worden.«
»Es ist genauso, wie du mir erzählt hast«, wandte sich Travis an Deirdre. »Die Geschichte mit dem Brandopfer. Aber du sagtest, es sei nur ein Mythos.«
Deirdre lächelte trocken. »Nur ein Mythos ist ein Oxymoron, Travis. Mythen haben die Macht, auf eine Weise Wahrheiten über unser Leben zu enthüllen, wie es unseren Sinnen unmöglich ist. In gewisser Weise sind Mythen nicht weniger, sondern viel realer als die Welt, die wir sehen.«
Farr drückte seine Zigarette in einer verrosteten Sardinenbüchse aus. »Im Verlauf der letzten Monate gab es eine Epidemie von Fällen plötzlicher Selbstentzündung. Einige Mitglieder unserer Organisation glauben, sie könnten in Zusammenhang mit der derzeitigen Hitzewelle auf diesem Kontinent zu tun haben. Andere haben … andere Ideen. Aber wie dem auch sei, im Augenblick ist der Öffentlichkeit dieser Ausbruch relativ unbekannt. Aber das könnte sich bald ändern.«
»Warum?« Travis war sich nicht sicher, ob er es tatsächlich wissen wollte.
»Erst letzte Woche habe ich gesehen, wie ein Mann in einem Krankenhaus in Kansas City verbrannte, während die Ärzte versuchten, ihn zu retten«, sagte Farr mit grimmigem Gesicht. »Der Fall war insofern atypisch, da er die Selbstverbrennung einige Stunden lang überlebte.«
Travis kniff die Augen zusammen. Nein, er hatte es nicht wissen wollen. Er zwang sich dazu, sie wieder zu öffnen. »Was … was ist …?«
»Was aus ihm geworden ist?« Farr schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Doch die Untersuchungen des Krankenhauses werden mit Sicherheit enthüllen, was unsere eigenen Studien ergaben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bevor diese Geschichte zirkuliert. Aber um Ihre Frage zu beantworten, als es mit ihm zu Ende ging, bevor er starb, hatte sein Fleisch die Farbe und die Textur von Basaltgestein, und als eine Krankenschwester ihm eine Spritze geben wollte, berührte er sie laut Zeugenaussagen und steckte sie in Brand. Sie ist im Augenblick auf der Intensivstation. Die Ärzte bezweifeln, daß sie es überlebt.«
Travis schluckte seine Übelkeit herunter. »Und was hat das alles mit mir zu tun?«
»Nichts, das heißt, zumindest waren wir dieser Auffassung«, sagte Farr. »Wir waren nicht der Meinung, daß diese Zwischenfälle etwas mit Ihrem Fall zu tun haben. Und das kann immer noch stimmen. Aber wenn ich eines in all den Jahren gelernt habe, dann, eine Verbindung in Zufällen zu erkennen.«
Etwas stimmte nicht – etwas, was über die Sucher hinausging, was über die Selbstverbrennungen hinausging. »Aber wenn Sie nicht wegen der Verbrannten nach Castle City gekommen sind, warum dann?«
Farr warf Deirdre einen Blick zu. »Ich glaube, das können Sie besser erklären.«
Deirdre
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