Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm
isolierter Zwischenfall und nicht einmal eine Pandemie. Sie räumte die Frühstücksutensilien fort, während die anderen das Lager abbrachen.
Gegen Mittag kamen sie zu den verkohlten Überresten einer kleinen Häusergruppe. Grace sah sie zuerst gar nicht. Sie war ein Stück zurückgefallen, in tiefes Nachdenken über das Verbrennungsopfer in Tarafel versunken. Vor ihr unterhielten sich Aryn und Lirith leise, dann lachte die junge Frau.
Grace riß den Kopf hoch, als Aryns helles Gelächter plötzlich wie abgerissen verstummte. Im ersten Augenblick befürchtete sie einen plötzlichen Angriff, wie bei dem Bären. Dann erreichte sie den Kamm der Anhöhe, die sie hinaufritten, und blickte zusammen mit der Baronesse und der Hexe in das sich dahinter anschließende Tal. Durge ritt bereits zwischen den Ruinen her. Um ihn herum ragten die geschwärzten Steinfundamente mehrerer Häuser auf.
Es waren nicht genug, als daß sie sich als Dorf hätten qualifizieren können – eher ein kleiner Zusammenschluß mehrerer Bauernhäuser. Ansonsten sah es hier genauso aus wie in Tarafel. Die Zerstörung war komplett. Keines der Häuser war intakt geblieben. Genausowenig wie die Bewohner, wie Grace sah, als sie Shandis in die Tiefe lenkte.
»Es gibt keine Anzeichen, daß das Feuer von einem Haus auf das nächste übergegriffen hätte«, sagte Meridar. »Der dazwischen befindliche Boden ist unversehrt. Ich fürchte, daß diese Brände mit Absicht gelegt wurden.«
Durge kratzte sich das stoppelige Kinn. »Aber warum, Sir Meridar?«
Die Seuche, wollte Grace antworten. Furcht. Säuberung. Aber die Worte wollten nicht über ihre Lippen kommen. Sie konnte nur die verkrümmten Gestalten auf dem Boden anstarren, so schwarz wie Kohle, die geschrumpften Gliedmaßen zu letzten Posen der Qual verzerrt. Soviel dazu, daß Tarafel ein einzelner Zwischenfall war.
»Wir müssen hier weg«, sagte Aryn; ihre Stimme war halb Flüstern und halb Aufschrei. »Wir müssen sofort hier weg!«
Lirith legte der Baronesse die Hand auf den linken Arm. »Beruhigt Euch, Schwester«, sagte sie eindringlich.
Aryn schluckte, dann nickte sie, und ihr Zittern ließ etwas nach.
Kalleth spuckte auf den Boden. »Ihre Hoheit hat recht. Hier gibt es nichts für uns zu tun.«
Nein. Nein, wir müssen uns umsehen, wollte Grace sagen. In der Asche konnten Hinweise sein, etwas, das ihnen die Ursache der Seuche verraten würde – und die Richtung, in der sie sich bewegte. Hatte sie zuerst Tarafel getroffen? Oder diesen Ort? Sie mußten wissen, ob sie sich von ihr entfernten … oder auf sie zuritten. Aber Angst ließ ihre Kiefer erstarren wie das letzte Stadium einer Blutvergiftung. Shandis folgte den anderen Pferden. Grace konnte sich nur auf dem Sattel festklammern, als sie die versengten Ruinen hinter sich ließen.
Sie hielten mittags nicht an, und keiner sprach, als sie einen Weg entlangritten, der an sich ausbreitenden Feldern und mit Schlingpflanzen verhangenen Bäumen vorbeiführte. Grace wünschte, sie hätten die Pferde antreiben können, aber auf dieser Reise lagen noch viele Meilen vor ihnen, und sie konnten es nicht wagen, die Pferde jetzt zu erschöpfen.
Nach einiger Zeit kamen lange, dunkle Wolken von Westen herangetrieben, und Donner hallte über das Land. Grace hoffte auf kühlenden Regen, aber der kam nicht. Statt dessen schlief der Wind ein und die Luft wurde drückend, während sich die Wolken zusammenzogen. Schließlich biß Grace die Zähne zusammen; sie war davon überzeugt, daß sie, wenn sich der Luftdruck nur noch ein kleines bißchen erhöhte, schreien müßte. Aryns Enthusiasmus war wieder verschwunden und von schmallippigem Schweigen ersetzt worden. Selbst Lirith sah blaß aus, und die Ritter trugen grimmige Mienen zur Schau. Schweiß rann ihre Gesichter herunter, und ihre Kettenhemden verströmten einen sauren, metallischen Gestank.
Alle seufzten erleichtert auf, als ein paar verirrte Strahlen der untergehenden Sonne durch eine Lücke in der Wolkendecke fielen und Durge von einer Erkundung zurückkam und verkündete, Anzeichen eines Dorfes gesehen zu haben.
»Ist es … in Ordnung?« fragte Aryn und verdrehte mit der linken Hand eine Haarlocke.
»Es gibt kein Zeichen von Feuer, Mylady, von Kochfeuern abgesehen. Wenn wir so weit geritten sind, wie ich glaube, dann heißt dieses Dorf Falanor.«
»Es ist Falanor«, sagte Kalleth. »Ich habe zusammen mit dem derzeitigen Lord unter Baron Darthus als Knappegedient und bin einmal zu Besuch
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