Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm
gewesen. Eddoc müßte uns gute Gastfreundschaft erweisen.«
»Ich könnte etwas Gastfreundschaft gebrauchen«, sagte Meridar. Er verlagerte das Gewicht auf dem Sattel und verzog das Gesicht. »Vor allem der Teil, den ich …«
Lirith hob eine Braue, und Meridar machte den Mund zu, während sein von der Sonne gerötetes Gesicht noch einen Ton dunkler wurde.
»Herr Ritter«, sagte die Hexe, »wenn Ihr meint, den Lord um Gastfreundschaft für Euer Hinterteil ersuchen zu müssen, dann hoffe ich, daß es kein zusätzliches Gemach für sich beansprucht. Denn sonst könnte sich Euer Unbehagen noch verstärken.«
Meridar wollte darauf etwas erwidern, aber ein züngelnder Blitz zerriß die Wolken, und krachender Donner hallte über das Land.
»Das Aussehen dieses Sturms gefällt mir nicht«, sagte Durge. »Es ist zu heiß. Wir sollten sehen, daß wir schnell nach Falanor kommen.«
33
Es war fast dunkel, als sie die hohen Schatten zweier Bäume passierten und einem ausgetretenen Pfad in das Dorf Falanor hinein folgten. Es waren keine Fackeln in Sicht, hinter keinem der mit geölter Schafshaut bespannten Fenster leuchtete warmer Kerzenschein. Nichts regte sich. Grace umklammerte Shandis’ Zügel, von der Furcht ergriffen, daß dieses Dorf das gleiche Schicksal wie Tarafel erlitten hatte. Dann zuckte eine zerrissene rote Linie von Horizont zu Horizont, und im Licht des grellen Blitzes erfaßte Grace die Umrisse zweier Dutzend Häuser. Alle standen unversehrt.
Sie zwang sich aufzuatmen. Selbst in Calavere gingen die meisten Menschen bei Einbruch der Dunkelheit zu Bett. Und hier, in einem Dorf am Rand der Domäne, war es zweifelhaft, daß sie viel Talg übrig hatten für Luxus wie Kerzen oder Lampen. Alles schlief, das war’s.
»Hier entlang«, übertönte Kalleths Stimme das Jammern des Windes. »Das Herrenhaus ist direkt dort vorn.«
Der nächste Blitz betonte die harten Linien im Gesicht des Ritters. Langsamer Donner rollte über das Land. Die anderen Reiter folgten ihm.
»Fühlt Ihr es, Schwester?«
Das Flüstern ließ Grace zusammenzucken; irgendwie war es viel beunruhigender als das Wüten des Sturms. Lirith hatte ihre Stute an Shandis’ Seite gelenkt.
Wir werden beobachtet.
Liriths Lippen bewegten sich nicht, aber Grace hörte deutlich ihre Stimme. Das hätte sie überraschen sollen, aber die Worte der Hexe waren beunruhigender als die Art ihrer Kommunikation. Grace blickte in beide Richtungen, aber in dem Wechselspiel von Finsternis und grellem Licht war unmöglich etwas zu erkennen. Sie biß die Zähne zusammen, dann schloß sie die Augen und griff schnell mit ihren Gedanken nach der Weltenkraft.
Es war schwierig, und sobald sie das Netz des Lebens berührte, verlor sie es in der nächsten Sekunde. Doch es reichte, um die Leben zu fühlen, die sich in den Häusern zusammendrängten. Und die Furcht, die zusammen mit den Blitzen die Luft knistern ließ.
Sie öffnete die Augen. »Ich verstehe es nicht. Wovor haben sie solche Angst?«
Lirith erwiderte ihren Blick. Vor uns.
Sie zuckte zusammen, als die Worte in ihrem Bewußtsein erklangen. Hatte Lirith die Weltenkraft absichtlich benutzt, um auf Graces Unfähigkeit anzuspielen, selbst die geringsten magischen Fäden zusammenzuhalten?
Hör auf damit, Grace. Das ist dein Problem, nicht Liriths. Nur weil du anscheinend die Gabe nicht mehr benutzen kannst, bedeutet das nicht, daß jede Hexe damit aufhören muß.
Die Pferde blieben stehen, als vor ihnen eine Steinmauer in die Höhe wuchs. Sie hatten das Herrenhaus erreicht. Zu ihrer Erleichterung sah Grace Lichter hinter den Fenstern. Jemand war zu Hause.
Die Reiter stiegen im Hof ab, dann gingen Kalleth und Durge zur Tür, während die anderen zusahen. Kalleth hob die Faust und klopfte dreimal, aber das dritte Klopfen wurde von einem Donnerschlag übertönt. Er hob die Hand, um erneut zu klopfen. In diesem Augenblick schwang die Tür auf, und goldenes Licht ergoß sich auf die Stufen.
Es fiel schwer, die Silhouette in der Tür zu erkennen. Grace kam zu dem Schluß, daß es sich um einen Mann handelte, aber ob jung oder alt, Diener oder Adliger, konnte sie nicht sagen. Auf jeden Fall kündete seine geduckte Haltung von Angst. Würde sich der Mann weigern, sie einzulassen? Aber das war unmöglich. Ob ängstlich oder nicht, niemand verweigerte die Bitte um Gastfreundschaft, die ein Ritter des Königs im Namen einer Baronesse, einer Herzogin und einer Gräfin von Toloria aussprach.
Durge hob den Arm, und
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