Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
schon vor Monaten gegangen. Und er hat Krondisar mitgenommen.«
Endlich fand Lirith ihre Stimme wieder. »Aber wenn Dakarreth nicht hier ist, wo ist er dann?«
Falken drehte den Kopf und blickte mit einem heimgesuchten Ausdruck in den blauen Augen stumm in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Lirith erstarrte. Sie wollte etwas sagen, aber was es auch immer war, sie brachte es nicht heraus, denn der Wind schwoll zu einem durchdringenden Heulen an.
35
» Ich freue mich, Euch heute abend alle hier an meiner Tafel begrüßen zu können.«
Grace blickte den großen, breitschultrigen Mann an, der am Kopf der langen Tafel in Spardis’ Großem Saal stand. Und wenn wir nicht gekommen wären, hättet Ihr uns dann alle hinrichten lassen, Mylord?
Sie faßte das Weinglas fester. Das war unfair. Selbst wenn das, was der Spinnenmann Travis erzählt hatte, der Wahrheit entsprach – daß dieser Mann, Lord Darrek, seines Zeichens Regent von Prinz Perseth, die Ermordung aller persönlichen Spione Persards befohlen hatte –, war es nur die eine Seite der Geschichte. Und wie Grace gelernt hatte, gab es in der Politik immer zwei Seiten. Oder drei oder vier.
Der Regent hob sein Glas. »Wir können uns glücklich schätzen, so viele bemerkenswerte Gäste auf unserem Schloß zu haben. Ich heiße alle im Namen des Prinzen willkommen.«
Grace musterte den Regenten über den Glasrand. Zumindest bezog sich Darrek auf Prinz Perseth. Aber wie lange noch? Wie lange würde es dauern, ehe der Regent aufhörte, die Befehle im Namen des Prinzen zu geben, bevor er es für passender hielt, sie in seinem eigenen Namen zu geben?
Darrek trank, und Grace sah ihm wie gebannt zu, unfähig. den Blick abzuwenden. Sie sah das Zusammenspiel der perfekten Muskeln unter der gebräunten Haut des Halses. Darrek war der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Sein Körper war perfekt proportioniert, die Finger waren lang und wohlgeformt, die markanten Züge des glattrasierten Gesicht waren völlig symmetrisch. Die Augen und das wehende Haar ließen mit ihrem Braungelb an einen Löwen denken. Nur die Lippen boten einen seltsamen Kontrast zu seiner Männlichkeit, denn sie waren weich, voll und sinnlich. Aber es war dieser Mangel, der die ganze Erscheinung so unwiderstehlich machte.
Grace blickte verstohlen zu Aryn und Beltan hinüber. Beide starrten den Herrn der Tafel an. Also war sie nicht die einzige, die Mühe hatte, den Regenten zu ignorieren. Sie hatte sich gefragt, wieso gerade dieser Mann es geschafft hatte, sich über alle Intrigen hinwegzusetzen und im Chaos nach Persards Tod die Macht zu ergreifen. Aber vielleicht lagen ihr ja alle Information bereits vor. Wer – ob Mann oder Frau – konnte schon der physischen Ausstrahlung und Macht des Regenten widerstehen?
Aber da muß es noch mehr geben, Grace. Attraktivität bringt dich nur bis zu einem gewissen Punkt. Du mußt klug, stark und schnell sein, um zwanzig andere Pläne schmiedende Adlige auszustechen. Und skrupellos.
Möglicherweise wußte sie ja doch mehr über Lord Darrek, als sie gedacht hatte. Solange sie die Frage außer acht ließ, ob es ihm mit dem Wunsch ernst war, in Prinz Perseths Namen zu regieren, bis der Junge das nötige Alter zur Thronbesteigung erreicht hatte, und ob er es mit Königin Inaras Segen tat.
Der Regent setzte sich und lächelte breit; irgendwie schien er mehr als die üblichen zweiunddreißig menschlichen Zähne zu haben. »Ich freue mich darauf, mich von den Berichten über Eure Reisen unterhalten zu lassen, und von dem, was jeden von Euch nach Spardis bringt.«
Grace warf Aryn und Beltan erneut einen Blick zu und hoffte inständig, daß ihr die Panik nicht allzu deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Beltan bemerkte ihren Blick und gab ihr ein kleines Handzeichen, mit dem er nach rechts und links zeigte. Grace zwang sich dazu, ruhig durchzuatmen. Der Ritter hatte recht. Sie waren nicht die einzigen Gäste, die zum Abendessen mit dem Regenten eingeladen worden waren. Um sie herum saßen umherreisende Barone, Gräfinnen und sogar ein paar wohlhabende Kaufleute – von denen einer sogar aus den Freien Städten kam, die sich weit südlich von Toloria befanden.
Alle Gäste des Regenten – mit Ausnahme von Beltan, Aryn und Grace – plauderten, lachten und tranken. Vielleicht war ja keiner von ihnen unterwegs mit der Flammenpest konfrontiert worden. Vielleicht waren sie auch nur daran gewöhnt, daß Untertanen tot umfielen, und einfach daran
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