Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
Darrek hat ein so merkwürdiges Gesicht. Es ist so schön anzusehen, aber je länger man es ansieht, desto klarer wird einem, daß es völlig leer ist.«
Erst als Aryn das gesagt hatte, erkannte Grace, daß die Baronesse recht hatte. Sie hielt Tira fester. »Laßt uns auf unsere Gemächer gehen.«
Sie waren fast da, als sie um eine Ecke bogen und mit Travis zusammenstießen.
Er taumelte zurück und griff nach seiner Brille, um zu verhindern, daß sie auf dem Boden landete. »Tira! Da bist du ja!«
Grace setzte das Mädchen auf dem Boden ab. »Travis, wie konnte das passieren?«
»Ich weiß es nicht. Eben war sie noch da, und dann …« Er riß die Augen auf. »Aber ihr müßt mitkommen. Schnell.«
Beltan trat vor. »Was ist geschehen?«
»Es ist Melia.« Travis holte tief Luft. »Sie ist aufgewacht.«
Augenblicke später stürmten alle in das Gemach.
»Aber wie?« stieß Grace hervor, während sie nach Luft rang.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Travis. »Jedenfalls nicht genau. Ich fand in einer der Satteltaschen ein paar alte Alasaiblätter und dachte mir, vielleicht mag sie den Geruch – du weißt schon, daß er sie an zu Hause erinnert. Also habe ich sie in einer Schale mit heißem Wasser aufgelöst, die ich dann neben ihr abstellte.«
Grace nickte – das klang logisch. Geruch war von allen Sinnen derjenige, der am stärksten Erinnerungen heraufbeschwören konnte. Manchmal konnte ein Geruch, der unmittelbar mit alten und erfreulichen Erinnerungen assoziiert wurde, einen Bewußtlosen ins Leben zurückrufen.
»Melia!« rief Beltan und stieß die Tür in den Nebenraum auf.
»Ich kann dich auch so hören, Beltan«, sagte eine entschieden klingende Stimme. »Du brauchst nicht zu blöken wie ein verrückt gewordener Stier.«
Sie alle kamen vor Melias Bett zum Stehen. Die kleine Frau saß aufrecht an ein paar Kissen gelehnt da; sie war sehr blaß, aber ihre Augen blickten hell und klar.
Der Ritter ging neben dem Bett auf die Knie und nahm ihre Hand. »Melia, geht es Euch gut?«
Ihr Blick wurde weicher. »Ja, Beltan. Jetzt schon. Ich hatte meine Heilung beendet, aber das Aufwachen fiel so schwer. Der Geruch des grünen Zepters war eine enorme Hilfe.« Sie sah Travis an. »Danke, mein Bester.«
Er konnte nur nicken.
Tira entwand sich Graces Griff und kletterte auf das Bett. Sie legte den Kopf auf die Schulter der Lady.
»Tira«, sagte Grace, »du solltest Melia in Ruhe lassen.«
»Nein, schon in Ordnung«, sagte Melia und streichelte dem Mädchen übers Haar. »Aber es gibt Dinge, über die wir sprechen müssen. Wichtige Dinge. Sagt mir, wie lange war ich krank?«
»Über eine Woche«, sagte Aryn.
Melia versteifte sich. »Über eine Woche?« Sie seufzte. »Aber ihr seid noch da – das bedeutet, daß noch Hoffnung besteht.«
Beltan runzelte die Stirn. »Melia, wovon sprecht Ihr? Was hat Euch krank gemacht?«
»Hat einer von euch in dem kleinen Raum neben dem Großen Saal die Büste eines Mannes gesehen?«
Grace schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Aber natürlich – da habe ich sie gesehen. Das ist ein Abbild des neuen Regenten. Wir haben gerade mit ihm zu Abend gegessen.«
Melia setzte sich aufrecht hin. »Ihr habt mit ihm gegessen?« Ihre Augen zogen sich zu leuchtenden Schlitzen zusammen. »Aber er war schon immer sehr bewandert in der Kunst der Verstellung.«
Beltan starrte sie finster an. »Ich verstehe nicht. Wovon sprecht Ihr?«
Ein schwarzes, haariges Ding sprang aufs Bett. Melia strich über das weiche Fell des Kätzchens. »Die Büste des Regenten verursachte meine Krankheit. Ich war so dumm, sie anzufassen, aber woher hätte ich wissen sollen, was sich darin befindet? Ein Körnchen von Krondisar. Und die Magie der Imsari hat mir noch nie zugesagt. Hätte ich es euch doch nur damals sagen können.«
Grace hatte das Gefühl zu ertrinken. »Uns was sagen?«
»Daß der Regent Dakarreth ist.« Melias Augen funkelten. »Ihr habt gerade mit einem Nekromanten zu Abend gegessen, Liebes.«
36
» Spinnenmann!« Travis spähte in die Schatten und den Nebel, die die Straße erfüllten, und rief erneut so laut, wie er es wagte: »Spinnenmann, wo seid Ihr?«
Travis zitterte unter dem Nebelmantel. Er war davon überzeugt, falls ihnen jetzt noch jemand helfen konnte, dann nur der Spinnenmann. Aber wie sollte er jemanden finden, der die Kunst, nicht gefunden zu werden, zur Höchstform perfektioniert hatte?
Er spähte in das Halbdunkel. An diesem Ort war er dem Spinnenmann
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