Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt
Häscher von deiner Hilflosigkeit. Die Frau – die Doktorin namens Larsen – hatte nicht ganz Unrecht, was ihn betraf. Wäre er frei gewesen, hätte er sie zwar nicht getötet, aber er hätte alles Notwendige getan, um von diesem Ort und den Leuten, die ihn gefangen hielten, zu entkommen.
Ihm unbekannte Laute ertönten – eine Reihe piepsender Geräusche. Dem folgte ein dumpfes Dröhnen und ein Knirschen, das auf jeder Welt bedeutete, dass ein Schlüssel gedreht wurde. Er war gefangen. Und allein.
Nein, nicht ganz allein.
Beltan öffnete die Augen und drehte den Kopf. Der Schim-Pansi in dem Stahlkäfig in der Ecke starrte ihn mit intelligenten braunen Augen an.
»Hallo«, sagte Beltan; seine Stimme war ein trockenes Krächzen. »Du bist also auch noch hier.«
Das Geschöpf legte den Kopf schief, dann fuhr es mit langen dunklen Fingern über das Drahtgitter seines Käfigs.
Beltan runzelte die Stirn. »Du verstehst mich, nicht wahr? Vielleicht nicht meine Worte, aber du bist wie ich, was sie betrifft. Du verstehst mehr, als sie glauben.«
Der Schim-Pansi streckte die langen, vernarbten Arme in Richtung eines der leuchtenden Knochen-Bilder an der Wand; es handelte sich um den hohen, zierlichen Schädel mit den viel zu großen Augen.
Beltan versuchte den Kopf zu heben, entdeckte, dass er etwas Spielraum hatte, und untersuchte seine Umgebung. Er war noch immer nackt, aber sie hatten ein dünnes Laken über ihm ausgebreitet. Vielleicht war er für sie ja doch mehr als nur ein Objekt: ein Mann. Die unzähligen Drähte und Röhren, die er bei seinem ersten Erwachen gesehen hatte, waren verschwunden. Jetzt gab es nur noch eine Röhre, die von einer mit einer klaren Flüssigkeit gefüllten Blase über ihm zu der Nadel in seinem Arm führte. Er war noch immer festgebunden, aber die Fesseln erschienen etwas lockerer als zuvor, so als wären sie nachlässig gebunden worden. Sie hatten sich eben wieder nicht vorstellen können, dass er so bald aufwachen würde. Soweit er feststellen konnte, gab es unter dem Laken drei Riemen, einer hielt Brust und Arme, einer führte über Hände und Hüften, und einer hielt seine Beine.
Beltan bleckte die Zähne und kämpfte gegen die Fesseln an. Woraus auch immer sie gemacht waren, sie waren stärker als er. Also versuchte er, sich aus ihnen herauszuwinden. Das war effektiver; er konnte beinahe die rechte Hand aus dem Riemen um seine Hüften ziehen. Wäre dort nur ein Stück mehr freier Raum gewesen …
Er strengte sich an, aber nach ein paar Minuten hörte er auf. Er war erschöpft, und das rechte Handgelenk brannte. Es gab nur eine Möglichkeit, die Hand frei zu bekommen. Sie abzuschlagen.
Denk nach. Deine Muskeln sind weg, also gebrauche zur Abwechslung mal dein Gehirn, falls es nicht ganz verkümmert ist. Wie sattelst du dein Schlachtross? Ein Pferd holt immer genau dann Luft, wenn du den Sattelgurt festzurrst, und wenn es dann ausatmet, lockert sich der Gurt und der Sattel rutscht. Ausatmen wird dir nichts bringen – der Riemen befindet sich um deine Hüften. Aber gibt es eine Möglichkeit, wie du dich kleiner machen kannst?
Dann hatte er es.
Er stemmte sich gegen die Riemen. Da sie nicht ganz stramm saßen, waren zwischen seinem Rücken und der Stahlliege etwa drei Zentimeter Platz, aber er brauchte noch etwas mehr. Er biss die Zähne zusammen und verspürte ein kühles Kribbeln, wie ein Schwarm Nadelstiche, der über seinen Körper tanzte. Die Riemen ächzten, als sie gestreckt wurden. Irgendwie war er nach der ganzen Tortur kräftiger, als er gedacht hatte.
Da – es reichte. Die Finger seiner linken Hand krochen das Metall entlang. Er quetschte die Hand unter sich, in den Hohlraum zwischen Rücken und Becken. Dann drückte er den Körper nach unten. Mit aller Kraft.
Er hielt den Atem an, zwang wie ein Pferd die Luft aus seinem Körper. Er zerrte an der rechten Hand. Es gab einen Widerstand …
… dann schnellte sie mit einem scharfen Schmerz aus der Fessel.
Beltan starrte seine rechte Hand an. Sie blutete. Er hatte ein ordentliches Stück Haut abgerissen. Aber sie war frei.
Hör auf, sie anzustarren, du Holzkopf, und beweg dich.
Der Riemen um seine Hüfte war nun locker, und so fiel es ihm leicht, die linke Hand herauszuziehen. Den Riemen um seine Oberarme und die Brust zu lösen war ein härteres Stück Arbeit. Doch nach einigem Grunzen und den dazugehörigen Verrenkungen konnte er die Rechte zu dem Verschluss des Riemens manövrieren. Er konnte nicht
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