Die letzte Rune 08 - Das Schwert von Malachor
schauten mit schmutzigen Gesichtern nach oben, die zu abgezehrt für Hoffnung und zu müde für Verzweiflung waren.
Travis hatte gerade den Rand der Menge erreicht, als sich der Wind drehte, und das war der Augenblick, in dem er die Stimme hörte. Sie dröhnte und krachte wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel. Erkennen blitzte in Travis auf. Er ging an der Menge entlang, bis der Sprecher in Sicht kam.
Die Türen des Wagens standen weit geöffnet, und der Mann stand auf der obersten Stufe einer kleinen Holztreppe vor der Öffnung. Er sah genauso aus, wie Travis ihn in Erinnerung hatte. Seine Haut war wie gelbes Pergament, das sich über seine knochige Gestalt dehnte, und der schwarze Anzug, den er trug, sah aus, als wäre er gerade eben aus einem Grab gestohlen worden. Der Mann hielt den breitkrempigen Pastorenhut mit einer langfingerigen Hand fest, während die andere zur Faust geballt war und im Rhythmus seiner Ansprache Löcher in die Luft hieb.
»… die Hoffnung ist sinnlos, dass die Dinge besser werden«, verkündete Bruder Cy mit dröhnender Stimme. »Die Hoffnung hat den letzten Zug nach Denver genommen, und sie hat nicht zurückgeschaut. Ihr seid jetzt alle auf euch selbst gestellt, und es gibt niemanden, der euch helfen kann.« Ein durchtriebenes Licht funkelte in den schwarzen Augen des Predigers. »Es sei denn, ihr alle entscheidet euch dafür, euch selbst zu helfen.«
»Aber was können wir tun?«, rief einer der Minenarbeiter. »Ich kann keine Hacke mehr schwingen. Meine Lungen – es ist, als würden sie ständig brennen. Aber wenn ich nicht in den Minen arbeite, werden meine Frau und die Kinder verhungern.«
»Was du tun kannst?«, brüllte Bruder Cy und streckte sich zu seiner vollen, schrecklichen Größe, und die Menge machte unwillkürlich einen Schritt zurück. »Nun, du kannst dem Tod ins Gesicht spucken, das kannst du tun. Du kannst dir deine Grabstelle aussuchen und dann darauf tanzen. Du kannst lachen, solange du noch atmen kannst, und wenn das nicht mehr geht, dann weißt du wenigstens, dass du jeden dir noch verbliebenen Atemzug für etwas Vernünftiges gebraucht hast.«
Eine Frau hob ihre Hände. »Das klingt ja alles gut und schön, aber wie soll das unsere Bäuche mit Brot füllen?«
Bruder Cy lachte. »Das wird es auch nicht, Madam. Das kann es nicht. Nichts, was ich sagen könnte, wird euch heilen oder füttern oder euch reich machen oder etwas geben, das ihr noch nicht habt.«
»Und warum sollten wir Ihnen dann überhaupt zuhören?«, brüllte ein Mann und drohte mit der Faust.
»Weil er die Wahrheit sagt, die in dieser Stadt die meisten Leute fürchten«, sagte da eine leise, lispelnde Stimme. »Allein ihr habt es gewagt, herzukommen und zuzuhören.«
Die Menge verstummte. Bruder Cy stieg die Treppe hinunter, und ein Mädchen und eine Frau traten aus dem hinteren Teil des Leichenwagens. Das Haar des Mädchens war so schwarz wie sein Kleid, sein Gesicht war engelsgleich, und seine Augen waren violett. Das Kleid der Frau glich dem des Mädchens, es war streng und wies einen hohen Kragen auf, aber ihr Haar war ungebändigt und rot, und seine Strähnen fielen ihr wie die Flammen eines Feuers in das ovale Gesicht. In ihren Augen lag ein gehetzter Ausdruck.
Das Mädchen faltete die kleinen Hände. »Nur ein Betrüger bietet Hoffnung an, wenn keine Hoffnung mehr da ist. Nur ein Teufel nimmt euch bei der Hand, um euch auf einen Pfad zur Freude zu führen, wenn doch der einzige Pfad aus dieser Welt hinaus mit Dornen versehen ist.«
»Das Kind Samanda spricht weise«, sagte Bruder Cy heiser, aber nicht weniger aufmerksamkeitsgebietend als zuvor. »Ich sage nur, dass ihr alle bald genug Zeit habt, um tot zu sein. Also benehmt euch nicht so, als wärt ihr schon tot, bevor ihr es wirklich seid. Darum hat man euch dieses Leben nicht geschenkt. Ich kann euch nicht von euren Krankheiten heilen. Ich kann euch kein Geld geben. Aber ich kann euch helfen, die Wahrheit zu finden, und in diesen Tagen ist das mehr wert als Gold und willkommener als Wasser in der Wüste.«
Bruder Cy verstummte.
»Aber was ist sie?«, fragte der Mann, der zuvor gebrüllt hatte, und senkte die Faust.
»Was ist was?«, schnaubte der Prediger.
»Die Wahrheit, an der Sie uns teilhaben lassen wollen.«
Wieder grinste Bruder Cy sein kadaverhaftes Grinsen. »Ich habe euch nicht versprochen, euch die Wahrheit zu enthüllen. Ich habe euch gesagt, ich würde dabei helfen, sie zu finden. Und das habe ich auch, wenn
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