Die letzte Rune 08 - Das Schwert von Malachor
ihm steckte, genauso gut etwas tun, egal was. Er zog den Steckbrief aus der Tasche und entfaltete ihn. Hinter der Nickelbrille starrte ihm sein Gesicht entgegen.
»Ich werde ein Gesetzloser«, sagte Travis.
Und Bruder Cys dröhnendes Gelächter stieg in den Himmel.
22
Aryn genoss das Abendessen wesentlich entspannter als noch am Vorabend. Ihre Pläne mit Aldeth waren um Haaresbreite der Entdeckung durch den König entgangen – dank der unvermuteten Hilfe von Teravian. Sie versuchte ein paarmal, den Prinzen anzulächeln, aber der schaute wieder nur finster drein. Ständig betrachtete er die Schatten in den Saalecken, fast schon so, als würde er dort nach etwas Ausschau halten.
Sie verbrachte die meiste Zeit des Essens damit, sich mit den zu Besuch gekommenen Grafen zu unterhalten, die um sie herum saßen; sie waren ein unglaublich langweiliger Haufen. Nicht, dass sie ihnen das zum Vorwurf machte. Alle sprachen von den Kriegsgerüchten in den Domänen, und einer von ihnen – dessen Ländereien sich in der Nähe der Grenze zu Brelegond befanden – behauptete, einen Trupp Männer in schwarzer Rüstung auf schwarzen Rössern gesehen zu haben.
Melias Platz an der Hohen Tafel war unbenutzt; keiner schien zu wissen, wo die Lady war. Aryn vermutete, dass sie sich um ihre eigenen Interessen kümmerte. Aber vielleicht hatte sie auch keine Lust gehabt, ihr Gemach zu verlassen, und arbeitete an ihrer Stickarbeit. Sogar Melia hatte Spaß an einfachen Dingen. Wenn einer zweitausend Jahre lang jeden Tag etwas Geheimnisvolles und Wichtiges tun musste, konnte das schon an die Substanz gehen.
Im Gegensatz zum Vorabend wechselte Boreas kaum ein Wort mit Ivalaine. Stattdessen machte er eine finstere Miene, ohne jemand Besonderen anzusehen, und die Königin neigte oft den Kopf, um Mirda etwas zuzumurmeln. Aryn hätte gern gewusst, was die Königin sagte; sie überlegte sogar, einen Zauber auszuprobieren, um es herauszufinden, aber sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, als sie auch schon Mirdas besonnenen Blick auf sich ruhen spürte. Sie hob schnell ihren Weinpokal und verwarf die Idee.
Nach dem Essen begab sie sich zu Melias Gemach, um nach der Lady zu sehen. Dabei machte sie sich nicht die Mühe anzuklopfen, sondern wartete, bis die helle Stimme sie hereinbat.
»Woher wisst Ihr immer, dass ich vor der Tür stehe?«, fragte Aryn und setzte sich auf den Stuhl am Feuer.
Melia lächelte. »Ich bin keine Hexe, so wie Ihr eine seid, meine Liebe, aber ich habe meine Fertigkeiten.«
Das war eine Untertreibung. Genau wie Aryn vermutet hatte, lag die Stickarbeit auf ihrem Schoß. Aber es sah nicht so aus, als hätte sie große Fortschritte damit gemacht. Die bernsteinfarbenen Augen der Lady wiesen dunkle Ringe auf, und ihr Gesicht erschien uncharakteristisch verkniffen.
»Seid Ihr krank, Melia?«, fragte Aryn, ohne darüber nachzudenken, was sie sagte.
Natürlich war die Frage absurd. Melia war eine ehemalige Göttin. Sie konnte keiner Erkältung zum Opfer fallen. Andererseits war es durchaus möglich, dass sie erkrankte. Das hatten sie auf Spardis erlebt, nachdem Melia die Büste des Nekromanten Dakarreth, in der ein Splitter des Steins des Feuers verarbeitet worden war, berührt hatte. Aryn wusste, dass manche Arten der Magie so wie Runen und Große Steine der Lady schaden konnten.
Melia setzte sich aufrecht hin. »Ich danke Euch für Eure Besorgnis, meine Liebe. Mir geht gut, wirklich. Aber …«
»Was ist denn?« Ein winziges schwarzes Fellknäuel landete auf Aryns Schoß und verlangte mit einem Miauen nach Aufmerksamkeit. Automatisch streichelte Aryn das weiche Fell. »Bitte, ich wünschte, Ihr würdet es mir sagen.«
Melia sah Aryn an, als würde sie sie mustern, dann nickte sie. »Es fällt mir schwer, das in Worte zu kleiden. In gewisser Weise ist es ein Gefühl, als würde man beobachtet. Aber wenn man sich umdreht und in die Schatten blickt, kann man dort nichts entdecken.«
»Haltet Ihr es für möglich, dass es das Kleine Volk ist?«
»Wie kommt Ihr denn da drauf?«
Aryn dachte einen Augenblick lang nach, dann erzählte sie Melia alles – das Glockenspiel, wie sie Aldeth gefunden hatte, sie ließ nicht einmal aus, dass sie den Spinnenmann gebeten hatte, Ivalaine zu überwachen. Falls sie erwartet hatte, dass sich die Lady schockiert zeigte, wurde sie enttäuscht. Allerdings blitzte in Melias Augen Neugier auf.
»Ich frage mich, ob ich mich nicht mal mit Ivalaine unterhalten sollte«, sagte
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