Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
sie brauchen Zeit, um zusammenzukommen. Zeit, die wir vielleicht nicht haben. Das Runentor könnte sich jeden Tag öffnen. Wir müssen die Männer nehmen, die wir haben, und nach Norden nach Burg Todesfaust marschieren.«
»Burg Todesfaust?«
»Das ist eine uralte Festung, die größte, die je von Malachor erbaut wurde. Die Festung befindet sich über einem schmalen Pass und bewacht den einzigen Weg, der aus der Schattenkluft herausführt – und aus Imbrifale. Wenn sich das Runentor öffnet, ist Burg Todesfaust alles, was zwischen dem Fahlen König und dem Rest von Falengarth steht.«
Nein, das reichte nicht mal annähernd aus. Was nutzte eine zerfallene Festung, die von fünfhundert Mann und einer dürren Frau mit einem zu großen Schwert besetzt war, gegen die riesigen Horden, die dem Befehl des Fahlen Königs unterstanden?
»Ich kann das nicht tun«, krächzte sie.
Falken lachte, er lachte tatsächlich. »Doch, das kannst du, Grace. Du bist Ulthers Erbin. Jeder weiß das. Du siehst nicht das Leuchten in den Augen der Männer, wenn sie dich dieses Schwert halten sehen, aber der Rest von uns schon.«
Boreas, Tarus und Melia nickten, und Grace spürte, wie ihre Knie nachzugeben drohten.
»Aber diese Festung … was ist, wenn es sie gar nicht mehr gibt?«
»Noch steht sie«, sagte Falken. »Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen, als ich mich vor über einem Jahr in die Schattenkluft hineinwagte. Sie ist in einem baufälligen Zustand, aber sie ist noch immer mächtig. Man sagt, Runenmeister und Hexen hätten ihre Hände beim Bau von Todesfaust im Spiel gehabt, dass sie ihre Steine mit Zaubern der Macht versehen hätten. Wenn du eine Möglichkeit finden würdest, diese uralten Verteidigungsstellungen aufzuwecken, könntest du das Heer des Fahlen Königs mit nur zehn Mann in Schach halten, du könntest es sogar allein schaffen. Fünfhundert werden ausreichen, um den Fahlen König aufzuhalten, bis die Krieger von Vathris zu dir stoßen.«
Etwas in ihrem Magen verknotete sich. »Verteidigungsstellungen? Was für Arten von Verteidigungsstellungen?«
»Ich weiß es ehrlich nicht«, sagte Falken.
Sie stöhnte auf. »Na, das ist ja großartig. Ich nehme nicht an, dass da ein Schalter auf der Wand mit der Aufschrift ›Magie, bitte hier drücken‹ ist? Was ist, wenn ich diese Verteidigungsstellungen, von denen du da sprichst, nicht wieder aktivieren kann?«
Ihre Worte konnten Falken nicht im Mindesten erschüttern. Mit leuchtenden Augen legte er die behandschuhten Finger um ihre Schwerthand. »Das wirst du, Grace. Das wirst du, weil du es musst.«
Nein, wollte sie erwidern. Ich kann das nicht tun. Ich werde das nicht tun.
Stattdessen erwiderte sie den Blick des Barden und nickte grimmig.
9
Später am Nachmittag spazierte Grace die gewundenen Pfade von Calaveres Garten entlang. Sie vermochte nicht genau zu sagen, wonach sie eigentlich Ausschau hielt. Falls es Abgeschiedenheit war, die fand sie hier im Übermaß, im Winter war der Garten ein so gut wie verwildertes Dickicht. Die Hecken waren vernachlässigt, die Pfade fast völlig von getrockneten Blättern unkenntlich gemacht – es war, als wäre ein Stück urzeitlicher Forst vom Dämmerwald in die Mitte des Oberen Burghofs des Schlosses transportiert worden.
Falls sie nach Anzeichen des kommenden Frühlings suchte, so war das vergebliche Mühe. Grace blieb gelegentlich stehen, um mit den Fingern in dem Boden zu graben. Auf der Erde wäre es Mitte Februar gewesen; Krokusse wären bereits durch den Schnee in die Höhe gewachsen. Aber sie konnte bloß eine dünne Schicht Erde beiseite kratzen; der darunter befindliche Boden war so hart gefroren wie Eisen.
Falken hatte behauptet, dass das schlimme Wetter das Werk des Fahlen Königs und des einen Imsari sei, den er besaß – Gelthisar, der Stein des Eises. War es das, was Berash für Falengarth geplant hatte? Ein Land aus Eis und Schnee, in dem es nie wieder Frühling wurde?
Grace blieb stehen; sie zitterte unter ihrem mit Pelz versehenen Umhang. Nach der Besprechung am Morgen hatte Boreas seine Befehle gegeben; die ihnen zur Verfügung stehende Streitmacht sollte sich vorbereiten, in drei Tagen nach Norden zu marschieren. Der König sah keinen Sinn darin, die Sache hinauszuzögern. Es würde eine lange Reise werden, da sie gezwungen sein würden, Eredane und seine schwarzen Ritter zu meiden, und stattdessen Toloria durchqueren und dann dem östlichen Rand der Fal Erenn nach Norden durch Perridon und
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