Die letzte Rune 10 - Der Runenbrecher
Ich hielt es für eine meiner Visionen.«
»Nein, Liebes, es ist keine Vision«, sagte Senrael. Auf ihrem Gesicht lag Staunen. »Die Krieger sind gekommen, wie es die Seher vorhergesagt haben.«
Grace hielt das Gesicht in den Wind, und das Haar, das so viel länger war als an dem Tag, an dem sie das erste Mal einen Fuß auf Eldh gesetzt hatte, wurde aus ihrer Stirn geweht. Boreas hatte es geschafft. Trotz aller Schwierigkeiten hatte er ihr die Krieger gebracht. Jetzt konnten sie Burg Todesfaust Wochen halten, vielleicht sogar Monate. Und dann, falls die Horden des Fahlen Königs auch weiterhin anstürmten? Sie wusste es nicht. Aber Travis Wilder war noch irgendwo da draußen. Er hatte noch immer zwei der Großen Steine, und sie hatten ihm gerade etwas Zeit verschafft.
»Beim Blut des Stiers«, fluchte Paladus. Der tarrasische Kommandant stand jetzt zusammen mit Tarus, Vedarr und mehreren anderen Rittern neben ihr; nur von Durge fehlte jede Spur. Das Heer war schon nahe herangekommen, seine Vorhut war kaum hundert Schritte entfernt. Die Pferde warfen die Köpfe zurück, und die Fußsoldaten marschierten mit schneller Präzision, als würde keiner von ihnen die Strapazen der langen Reise nach Norden verspüren.
»Wo ist der König?«, fragte Tarus und kniff die Augen zusammen.
Sie hatten so lange in der Dunkelheit gelebt, dass das Sonnenlicht Grace blendete. Sie hob die Hand und beschattete die Augen. Zwei Gestalten ritten unter dem Banner von Calavan, aber beide waren zu schmal, um der bullige König sein zu können. Die eine ritt auf einem weißen Pferd, die andere auf einem pechschwarzen. Dann kamen die Reiter näher, und Grace schüttelte verwirrt den Kopf.
Das war unmöglich. Sie konnte nicht hier sein. Aber sie war es, und jetzt verspürte Grace Freude – wahre, grenzenlose Freude.
»Aryn!«, stieß sie hervor. Dann lauter, so dass ihre Stimme durch das Tal hallte. »Aryn!«
Die junge Baronesse trieb ihr Pferd zum Galopp an. Sie war in Königliches Blau gekleidet, und sie sah stolz und majestätisch auf dem weißen Pferd aus. Ein Schild war an ihre rechte Schulter geschnallt, in der linken Hand hielt sie ein Schwert. Sie hob das Schwert, und seine Spitze flammte auf, als das Sonnenlicht sie traf. In diesem Augenblick stieg aus dem hinter ihr befindlichen Heer ein Ruf auf und hallte von den fernen Hängen des Tals zurück. Königin Aryn die Schöne! Königin Aryn die Schöne!
Graces Gedanken wirbelten. Was hatte dieser Ruf zu bedeuten? Und wo war König Boreas? Die Gestalt auf dem schwarzen Pferd ritt schnell hinter Aryn her, und Grace erkannte Prinz Teravian. Nichts davon ergab einen Sinn. Aryn und Teravian hätten auf Calavere sein müssen, nicht hier – nicht beim Ende aller Dinge.
Aryn zügelte das Pferd ein paar Schritte entfernt. Sie schob das Schwert in die Scheide und glitt mit einer anmutigen Bewegung aus dem Sattel, bevor einer der Ritter loseilen konnte, um ihr zu helfen. Grace wollte etwas sagen, wollte die richtigen Worte finden, um das auszudrücken, was sie fühlte, aber Aryn war schneller. Sie eilte heran und warf den guten linken Arm um Grace und riss sie in eine stürmische Umarmung. Der Schild machte die Geste unbeholfen, nahm ihr aber nichts von ihrer Herzlichkeit. Grace erwiderte die Umarmung mit all ihrer Kraft und klammerte sich an die junge Baronesse.
Aber war sie überhaupt noch eine Baronesse? Königin Aryn hatten die Männer von Vathris sie genannt, und von König Boreas war keine Spur zu entdecken. Eine unbestimmte Furcht drängte sich in Graces Freude.
Sanft, aber energisch schob sie die junge Frau von sich. »Aryn, was geschieht hier? Wieso bist du hier? Und warum hast du den Prinzen statt des Königs mitgebracht?«
Aryn sah sie ernst an. »Ich habe den König gebracht, Grace. Den König von Calavan.«
Teravian war mittlerweile zu ihnen aufgeschlossen. Der Prinz stieg vom Pferd. Sein Gesicht war ernster, als Grace es in Erinnerung hatte, und er trug Schwarz und Silber, so wie es sein Vater immer getan hatte.
So wie es sein Vater immer getan hatte …
Grace machte einen stolpernden Schritt zurück. Sie sah Aryn an, dann den Prinzen, dann wieder Aryn. Es kam ihr vor, als hätte ihr jemand eine Nadel ins Herz gestoßen. Am Himmel schloss sich der Spalt in den Wolken; Zwielicht senkte sich wieder auf die Welt.
»Boreas ist tot«, sagte Grace.
Aryn nickte, und Tarus, Paladus und die anderen Männer um Grace herum keuchten entsetzt auf.
»Wie?« Grace ergriff Aryns
Weitere Kostenlose Bücher