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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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losgefahren. Für sie ein gewaltiger Schritt. Es hätte der Beginn einer ganz neuen Entwicklung sein können. Dass es dann anders kam – das konnte niemand voraussehen.«
    Seine Worte taten ihr gut, aber innerlich vermochte sie noch nicht zur Ruhe zu kommen.
    »Trotzdem, ich wüsste einfach gern, was geschehen ist. Ich meine immer, ich bin ihr das schuldig.«
    »Und wenn es doch so ist, wie wir auch schon einmal vermuteten: dass sie sich aus freien Stücken, von allein abgesetzt hat? Dass sie einfach ausgebrochen ist und nur hofft, dass ihr nie jemand auf die Schliche kommt?«
    »Warum hätte sie dann ihren Pass neben einen Altkleidercontainer in Wiltonfield legen sollen?«
    Marc zuckte die Schultern. »Das weiß ich auch nicht.«
    »Ich möchte morgen noch einmal dorthinfahren«, sagte Rosanna, »nach Wiltonfield. Ich möchte herausfinden, wann genau Jacqueline das Schiff verkauft hat. Und an wen.«
    Marc sah sie mit einer Mischung aus Belustigung und Resignation an. »Du hast dich wirklich verbissen.«
    »Kommst du mit?«
    Er zog sein Portemonnaie hervor, legte zwei Geldscheine auf den Tisch und erhob sich. »Ich komme mit, ja«, sagte er ergeben. »Aber jetzt bringe ich dich erst mal ins Bett. Du siehst wirklich krank aus, und ich glaube, dein Fieber ist wieder gestiegen. Und eines versichere ich dir: Wenn es dir morgen nicht besser geht, binde ich dich eher in der Wohnung fest, als dass ich dich in Wiltonfield herumstapfen lasse!«
    Sie nickte. Sie ahnte, dass er sie nicht würde festbinden müssen, wenn es ihr morgen nicht besser ginge.
    Sie würde dann sowieso keinen Schritt allein tun können.

Samstag, 23. Februar
     
    1
     
    Es hatte eine hässliche Szene am Vorabend gegeben, und Marina hatte lang nicht einschlafen können, hatte ihr Herz bis in den Hals schlagen gespürt. Nach dem Streit vom Mittagessen hatte sich Rob eine Weile draußen herumgetrieben, war gegen vier Uhr wieder erschienen und hatte sich wortlos in das Gästezimmer zurückgezogen, das er für die Zeit bei seiner Mutter bewohnte. Als sie ihn zum Abendessen holen wollte, reagierte er nicht. Erst um halb zehn kam er die Treppe herunter. Marina, die im Wohnzimmer saß und fernsah, hörte, wie er seine Jacke von der Garderobe nahm. Sie trat in den Flur.
    »Du willst noch eine Runde durchs Viertel drehen?«, fragte sie betont locker, obwohl sie sofort fürchtete, dass ihm mehr als das vorschwebte. Er hatte pfundweise Gel in seine Haare geschmiert und sich mit Aftershave geradezu übergössen.
    Er zog seine Jacke an. »Ich geh weg«, erklärte er, »irgendwohin, wo was los ist.« » Was heißt, wo was los ist ?«
    »Das heißt, was es heißt. Es ist Freitagabend. Ich sitze doch an einem Freitagabend nicht hier am Stadtrand herum und schau mir bescheuerte Quizsendungen im Fernsehen an!«
    »Wo genau möchtest du denn hingehen?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich schau mich um.«
    »Rob, du kennst dich doch hier gar nicht aus. Du hast keine Freunde und Bekannten hier. Und du bist erst sechzehn!«
    Als habe er sie nicht gehört, nahm er den Haustürschlüssel, den sie ihm für die Dauer seines Aufenthalts überlassen hatte, vom Haken und schickte sich an, zu gehen.
    »Rob!«, sagte Marina scharf.
    Er drehte sich widerwillig um. »Ja?«
    »Ich möchte das nicht. London ist kein Dorf. Ich kann dich hier nicht allein losziehen lassen. Es ist viel zu gefährlich!«
    Er bemühte sich, sie cool und überlegen anzublicken, aber in seinen Augen standen vor allem Verletztheit und Wut.
    »Wie willst du mich denn daran hindern?« »Ich verbiete es dir.«
    Jetzt grinste er. »Was soll die Show, Mummy ?«, fragte er. »Glaubst du ernsthaft, du kannst mir irgendetwas verbieten? Soll ich dir mal sagen, wie sehr mich interessiert, was du möchtest oder nicht? Genau so viel interessiert mich das!« Damit hatte er ihr den Mittelfinger gezeigt und war durch die Tür hinaus in die Dunkelheit entschwunden, noch ehe sich Marina von ihrem Schrecken über die obszöne Geste erholt hatte und reagieren konnte.
    Sie hätte nicht mehr zu sagen gewusst, wie der Abend vergangen war. Sie hatte ihn vor dem Fernseher verbracht, aber sie hatte nichts von den Programmen mitbekommen, die dort liefen. Sie trank Wein, zu viel Wein, ihr liefen die Tränen über das Gesicht, und sie sah immer wieder zwei Szenen vor ihrem inneren Auge: den Tag, an dem Rob geboren wurde, den Moment, da ihr die Schwester das winzige, rosige Baby in den Arm legte und sie daraufhin zu weinen

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