Die letzte Sünde: Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv (German Edition)
lebenslang, diese beiden miteinander auszubalancieren. Wir versuchen mal die eine, maldie andere Seite zu wählen. Kennst du das Lied der Lieder?« Der Orthodoxe sah ihn fragend an.
Assaf nickte skeptisch.
»Sulamith ist die Schönste von allen, nicht wahr? Ist sie ein Produkt der sexuellen Besessenheit König Schlomos oder Symbol der unendlichen Liebe zu Gott? Ist sie Sünde oder Heiligtum?«
»Beides?«, antwortete Assaf zögerlich, während er sich seinen Bart rieb.
»Genau! Und genauso lebe ich auch. Meine Einnahmen benutze ich für gute Zwecke. Ich habe diese Yeshiva hier aufgebaut und finanziert.« Der Orthodoxe lehnte sich zufrieden zurück. »Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
Der Kommissar räusperte sich verwirrt. »Ich muss wissen, wo du an diesen beiden Tagen warst.« Assaf zeigte im Kalender auf die zwei Daten, an denen Marina und Joy umgebracht wurden. Sein Kalender zeigte sowohl das jüdische Datum als auch das gregorianische.
»An dem einen Tag war ich in Jerusalem und habe dort auch übernachtet. Und hier an diesem Nachmittag war ich mit meinem Assistenten in Safed im Norden.«
»Gut, wir werden das überprüfen«, schloss Assaf die anstrengende Unterhaltung und ging mit einem knappen »Shalom«.
Draußen notierte er sich in sein kleines Lederbuch, dass sie unbedingt die Telefone von Shpangental überprüfen lassen müssten. Vielleicht hatte er doch Kontakt zu Dudu gehabt. Außerdem wies er einen Kollegen an, den orthodoxen Drogenhändler für die nächsten Tage zu beschatten.
Die anderen drei Drogenhändler wollte Assaf sich am nächsten Tag vornehmen. Er fühlte sich erschöpft und riefseinen Freund Yotam an. Yotam wohnte in Sheinkin und ging mit Vorliebe ins berühmte »Orna«. In dem Restaurant war einer der bekanntesten Homosexuellen-Filme Israels gedreht worden. Yotam war zu Militärzeiten sein Offizier gewesen, als sich Assaf noch am Anfang seiner Karriere befunden hatte. Während all dieser Jahre der engen Zusammenarbeit wusste Assaf nicht, dass Yotam homosexuell war. Erst später, lange nachdem er das Militär bereits verlassen hatte und als Modedesigner arbeitete, hatte er sich geoutet.
Yotam sagte sofort einem Treffen zu und brachte noch seinen Freund Aviva mit, der eigentlich Avi hieß, sich aber lieber in der weiblichen Form ansprechen ließ.
Die drei Männer ließen sich an einem der hinteren Tische nieder. Während Aviva Cava trank, bestellten Assaf und Yotam Goldstar-Bier.
»Süßer, fällt dir etwas an mir auf?«, fragte Aviva den Kommissar erwartungsvoll. Assaf wusste, dass Aviva heimlich in ihn verliebt war.
»Nö. Was denn?«
»Mensch, mein Gesicht ist doch viel straffer!«, gab sich Aviva empört.
Yotam lachte. »Botox, Assaf. Sie hat Botox gespritzt.«
»Das war vielleicht eine Tortur. Das erste Mal bin ich bei einem solchen Quacksalber gelandet. Da sah mein Gesicht hinterher aus wie ein aufgeblasener Rentnerarsch. Ich hatte so furchtbare Schmerzen, dass ich sogar ins Krankenhaus musste. Ein Gutes hatte das Ganze jedoch: Ich wurde dort von einem äußerst attraktiven Doktor behandelt«, erzählte Aviva mit seiner affektierten Stimme.
»Und? Lief was mit dem Herrn Doktor?«, fragte Assaf amüsiert.
»Nu. Der hatte bereits eine Zwanzig-Stunden-Schicht hinter sich. Aber das kam mir ja entgegen, wenn der so lange arbeitet, ist dem doch egal, wer seinen Schwanz am Ende des Tages in den Mund nimmt.« Aviva kicherte aufgekratzt.
Assaf prustete beinahe sein Bier über den Tisch. Yotam rollte scheinbar entsetzt die Augen. Die Kellnerin kam und brachte ihnen die Süßkartoffelpuffer, für die das Restaurant bekannt war.
»Und Yotam, wie läuft’s bei dir so?«, fragte Assaf seinen Freund.
»Yotam hat jetzt einen Freund.« Wenn Aviva eine Neuigkeit kannte, konnte sie diese nicht lange für sich behalten.
Yotam räuperte sich verlegen. »Er heißt Ori. Ist ein paar Jahre jünger als ich, unfassbar süß, gutaussehend ...«
»Und was macht dein Ori so?«
»Er ist DJ . Schon ziemlich erfolgreich in den Schwulenclubs. Er spielt überall im Land.«
»Ach, gibt’s auch Schwulenclubs außerhalb von Tel Aviv?«, neckte Assaf seinen Freund.
»Gibt es eine Welt außerhalb von Tel Aviv?«, fragte Aviva.
»Ich habe mittlerweile das Gefühl, ganz Tel Aviv ist ein Schwulenclub. Da ist man ja manchmal froh, herauszukommen«, bemerkte Yotam nüchtern.
»Neulich war ich im Dizengoff Center, und ich schwöre euch, alle Männer dort waren schwul«, meinte
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