Die letzte Sünde: Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv (German Edition)
Assaf.
»Jungs, das ist doch kein Wunder – bei all den Macho-Vätern«, echauffierte sich Aviva.
»... und den Macho-Müttern«, fiel Yotam ihm ins Wort.
»Genau. Die erziehen uns doch geradezu zum Schwulsein«, befand Aviva.
»Wie jetzt? Ich denke, schwul oder nicht schwul ist angeboren?«, horchte Assaf verwundert auf.
»Na ja. Ich wusste schon immer, dass ich schwul bin.«
»Ja, Aviva, du bist wahrscheinlich schon als Baby im sexy Minirock über den Teppich gerobbt.«
»Ich bitte dich – gerobbt! Geglitten! Wenn schon.«
»Also ich wusste nicht immer, dass ich schwul bin«, stellte Yotam fest. »Ich habe lange versucht, ein normaler Hetero zu sein. Aber als ich nach dem Armeedienst nach Tel Aviv gezogen bin und gesehen habe, wie offen die Leute das hier ausleben ... Mein Aha-Moment war die Gay-Parade. Da haben alle getanzt und auf den Wagen herumgeknutscht. Mir kam das vorher immer wie ein Defekt vor, dass ich Männer anziehend fand.«
»Wenn du meine Mutter fragst, ist es das auch. Die hält Homosexualität für eine Krankheit.« Assaf nahm lachend den letzten Schluck aus seiner Bierflasche.
»Tel Aviv – die Stadt der Sünde. Meine Oma denkt das auch. Aber wir verstehen uns trotzdem. Nur vom Erbe werde ich wohl nichts abbekommen. Schließlich habe ich ja keine Familie, die es zu versorgen gilt«, erzählte Aviva.
»Ich muss sagen, mit Ori habe ich das erste Mal das Gefühl, dass ich gerne eine Familie gründen würde«, stellte Yotam nachdenklich fest.
»Wie das? Kooperation mit ein paar Lesben?«, fragte Assaf neugierig.
»Nein, Leihmutterschaft. Wir kaufen ein Ei, fliegen nach Indien und kommen mit Kind zurück. Das wird doch immer einfacher. Ist nur eine Frage des Geldes. Sieh dich doch um, Tel Aviv ist voller schwuler Elternpaare.«
»O Gott! Wenn ich Kinder hätte, würde meine Familievor Glück überspringen, und wahrscheinlich wäre es dann endlich in Ordnung, dass ich schwul wäre.« Aviva schüttelte ihre Hände theatralisch.
Assaf lachte. »Ja, das geht mir genauso. Wenn ich endlich Kinder hätte, wäre für meine Eltern mein Dasein berechtigt.«
Als Assaf kurze Zeit später mit dem Roller nach Hause fuhr, dachte er immer noch über seine eigenen Worte nach. Er war jetzt 34. In ein paar Monaten würde er seinen 35. feiern. Die meisten seiner Freunde waren bereits verheiratet, viele hatten Kinder. Auch seine ehemaligen Armeekollegen hatten alle längst Familien gegründet.
Mit Hanna hätte er sich das vielleicht vorstellen können. Aber alles zwischen ihnen war so kompliziert geworden. Berlin, Tel Aviv, Freiheit, Beziehung. Das kam irgendwie nicht zusammen. Er hätte jetzt gerne mit ihr gesprochen, ihr kindliches Lachen gehört, das sie trotz ihrer dreißig Jahre immer noch hatte und das ihn immer so glücklich machte. Aber etwas hielt ihn davon ab. Vielleicht das tiefe, intuitive Wissen, dass es einfach nicht klappen würde mit ihnen. Wahrscheinlich hatten sie zusammen keine gute Balance zwischen schlechtem und gutem Trieb, dachte er lächelnd.
Er bog in seine Straße ein. Am Anfang der Ben Ami stand das Kabbala Center. Obwohl es mitten in der Woche war, sangen die Kabbala-Jünger dort beschwingt. Wahrscheinlich irgendeine Chanukka-Feier. Er hatte in diesem Jahr noch gar keine Chanukka-Kerzen angezündet, fiel Assaf ein. Zu Hause suchte er ein paar kleine Kerzen zusammen und steckte sie in die achtarmige Chanukkia. Während er eine Kerze nach der anderen anzündete, sang er: »Baruchata adonai, eloheinu melech ha’olam asher kid’shanu b’mitzvotav v’tzivanu l’hadlik ner shel chanukka.« Dann stellte er den Leuchter ans Schlafzimmerfenster.
Später, als er schon längst im Bett lag, fiel ihm im Halbschlaf ein, dass Chanukka längst vorbei war.
KAPITEL 13
Am nächsten Tag fuhr Assaf Rosenthal zur Mittagszeit nach Cholon. In der Vorstadt von Tel Aviv, die direkt neben der Russenhochburg Bat Yam lag, war Lew Komras gemeldet. Assaf konnte sich nicht erinnern, jemals in Cholon gewesen zu sein. Auch das Wahrzeichen der Stadt, das moderne Designmuseum, ein roter Bau, der aussah, als würde er aus mehreren losen Bändern bestehen, hatte er noch nie gesehen. Um das elegante Gebäude standen die üblichen mehrstöckigen Häuser, die man überall im Land sah. Auch Assaf war in einem solchen Haus aufgewachsen. Ein Einfamilienhaus hatten sich seine Eltern nicht leisten können.
Der Kommissar bog in die Menachim Begin Straße ein. Komras sollte in der Nummer fünf wohnen. Dort sah
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