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Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)

Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)

Titel: Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberly McCreight
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anvertrauen « , sagte Dr. Lipton. » Tyrannen bauen ihren Erfolg auf Scham und Vereinzelung. Du must dich wenigstens einer Freundin anvertrauen und ihr alles erzählen. Du brauchst ein unterstützendes Netzwerk. Meinst du, dass du das hinkriegst? «
    Ich nickte, obwohl ich mich schrecklich davor fürchtete. Natürlich war Sylvia die Freundin, der ich mich anvertrauen musste, und die würde tierisch sauer sein, wenn sie von der Sache mit den Maggies erfuhr. Ganz abgesehen davon, dass mir das alles furchtbar peinlich war. Genau das war der Grund, warum Sylvia und ich die Clubs ätzend fanden. Sie waren nur dazu da, anderen das Leben zur Hölle zu machen.
    » Ich möchte, dass du diesem Mädchen einen Brief schreibst, eine E-Mail, mit allen Fragen, die du ihr stellen möchtest « , fuhr Dr. Lipton fort. » Frag sie, was eigentlich passiert ist. Alles, wovor du dich fürchtest, es zu erfahren. Aber schick die Mail nicht ab. Ich möchte, dass du dir ihre Antworten vorstellst. «
    » Ich soll sie mir vorstellen? « Das kam mir total bescheuert vor.
    » Ja, stell sie dir vor. Schick die Mail nicht ab « , wiederholte sie mit Nachdruck. » Das ist eine Übung, und sie ist dazu da, dir die Kontrolle über deine Situation und deine Gefühle zu geben. Ich denke, du wirst feststellen, dass du bereits alle Antworten kennst, die du brauchst. «
    » Okay « , sagte ich, auch wenn ich es immer noch ziemlich blöd fand.
    » Abgemacht? « , fragte Dr. Lipton. Sie schaute mich erwartungsvoll an.
    » Okay. Abgemacht. «
    » Also gut « , sagte sie und machte die Tür auf. » Dann lass dir für nächste Woche einen Termin bei mir geben. Ich möchte erfahren, wie es weitergegangen ist. Und dann können wir darüber reden, wie du es schaffst, dich deiner Mutter anzuvertrauen. «
    In der großen Pause fand ich Sylvia endlich auf dem Schulhof. Sie saß mit Ian an einem Tisch, und sie hatten die Knie aneinandergeschmiegt. Vor einer Woche wollten sie sich trennen. Offenbar waren sie noch zusammen, aber es sah nicht gut aus. Ian blickte sich die ganze Zeit auf dem Schulhof um, als suchte er nach einem Ort, um sich zu verstecken.
    Die arme Sylvia. Ian würde ihr das Herz brechen, und zwar schon bald. Insgeheim war ich sogar froh darüber: Dann würde sie mich genauso brauchen, wie ich sie jetzt brauchte. Wenn sie Liebeskummer hatte, war sie viel zugänglicher, als wenn sie verliebt war. Aber im Moment hatte sie nur Augen und Ohren für Ian, so dass sie mich erst bemerkte, als ich direkt neben ihr stand.
    » Ah, hallo « , meinte sie. Es schien sie zu ärgern, dass ich ihre Zweisamkeit störte. » Was gibt’s denn? «
    Ian schien heilfroh zu sein, dass ich aufgekreuzt war.
    » Hallo « , sagte er und sprang auf. » Setz dich. Ich muss sowieso los. «
    » Wo musst du denn hin? « , fragte Sylvia. » Wir haben doch noch gar nicht übers Wochenende gesprochen. Was ist mit dem Konzert? «
    » Ah, ja, das Konzert im Living Room. « Ian rieb sich die Stirn und sog die Luft durch die Zähne ein. » Ich hab ganz vergessen, dir zu sagen, dass ich doch nicht mitgehen kann. Aber geh du auf jeden Fall hin, wird bestimmt super. Wir sehen uns dann später am Wochenende. «
    Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, als ich Sylvias enttäuschtes Gesicht sah. Jetzt konnte ich es erst mal vergessen, ihr von meinem ganzen Scheiß zu erzählen. Zuerst musste ich dafür sorgen, dass sie eine Chance bekam, dieses Gespräch zu Ende zu führen, egal, wie es ausging. Im Stillen hoffte ich, dass es schlecht ausging, dass sie Ian noch weiter in die Ecke drängte und er endgültig mit ihr Schluss machte. Denn dieses halbherzige Hin und Her war einfach nicht mehr mit anzusehen.
    » Nein, bleib ruhig, Ian « , sagte ich und machte einen Schritt rückwärts. » Ich wollte nur kurz Hallo sagen. Wir sehen uns später, Sylvia. «
    Ich drehte mich um, ehe Ian mich aufhalten konnte, und lief quer über den Schulhof. Als ich mich umdrehte, saßen Ian und Sylvia immer noch zusammen und schwiegen sich an. Ian tippte mit der Spitze seines modischen Turnschuhs auf den Boden, während Sylvia ihn abwartend beobachtete.
    An dem Tag passierte nichts Schlimmes– nichts wurde aus meinem Spind geklaut, und er wurde auch nicht beschmiert. Ich konnte es kaum glauben. Es kamen nicht mal SMS . Als ich am Abend die endgültige Fassung meines Aufsatzes über Virginia Woolf an Liv mailte, fühlte ich mich beinahe entspannt. Vielleicht wurde es Zadie ja langweilig, mir die Hölle heißzumachen.
    Ich

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