Die letzte Walstatt - Covenant 03
Zeit war sie in Frieden und Abgeschiedenheit zwischen den Jahreszeiten des Waldes zu Hause gewesen, davon überzeugt, die Prüfungen ihres Lebens seien ausgestanden.
Doch jetzt hatte sogar Morinmoss selbst sich gerührt und dafür gesorgt, daß ihre Arbeit sie einholte. Deshalb brauchte sie Stärke. Sie zwang sich dazu, eine ausgiebige Mahlzeit einzunehmen; danach gönnte sie sich nochmals Ruhe.
Zu guter Letzt fühlte sie sich gehalten, mit ihrer Aufgabe zu beginnen. Sie stellte den Topf mit den Glutsteinen in eine Nische der Wand, so daß der freundliche gelbe Lichtschein gleichmäßig auf Covenant fiel. Er schlief noch immer – das bereitete ihr eine gewisse Erleichterung; sie wollte weder seine irrsinnigen Reden hören noch sich mit seinem Widerstand auseinandersetzen müssen. Aber erneut flößte der Umfang seines Krankseins ihr Furcht ein. Irgend etwas, das knochentief saß, hatte ihn im Griff, etwas, das sie nicht erkennen und ebensowenig begreifen konnte. In seiner Unvertrautheit erinnerte er sie an ihre alten Alpträume, in denen sie sich selbst, mit Versuchen, den Verächter zu heilen, in äußerstes Entsetzen gestürzt hatte.
Den akuten Bruch seines Fußknöchels verstand sie; seine von der Kälte angegriffenen, zerschlagenen Füße und Hände lagen innerhalb ihres Erfahrungsbereichs, und sie sah, daß sie womöglich ganz von selbst heilen mochten, hielt der Mann sich während einer längeren Erholungszeit anständig warm; Wangen, Nase und Ohren, die geplatzten Lippen mit der seltsamen Narbe an der einen Seite sowie seine unsauber abgeheilte Stirn bedeuteten für sie keine größere Herausforderung. Anders stand es allerdings mit dem Schaden, den das Amanibhavam seinem Geist zugefügt haben mußte. Selbst im Schlaf traten unter der Wirkung des Krauts seine Augen so kraß und fiebrig aus den Höhlen hervor, daß sie sogar durch die Lider jedes Zucken und Rucken sah, das seine wüsten Träume verursachten; es verkniff ihm die Stirn zu einem ungeheuerlichen Runzeln des Zorns oder der Qual; es ließ seine Hände in unbeholfenen Fäusten erstarren, so daß sie ihm, selbst wenn sie kühn genug gewesen wäre, das Weißgold nicht hätte abnehmen können. Und noch eine ganz andere Sache war seine eigentliche Krankheit. Sie erhaschte flüchtige Einblicke in die Art und Weise, wie sie mit seinem Wahnsinn zusammenhing. Sie fürchtete sich davor, diese Erkrankung mit ihren Kräften anzutasten.
Um sich zu beruhigen, sang sie in gedämpftem Brummen ein altes Lied.
»Wenn's am End ums Letzte geht,
hab' ich wenig Macht:
darf mich Gefäß nur nennen.
Ich halt' den Bein-Saft meiner selbst
und seh das Mark verbrennen.
Wenn's am End ums Letzte geht,
hab' ich wenig Kraft:
bin Gerät nur immerdar.
Ich wirk' ihr Werk, in ihren Händen
bin ich nur ein Narr.
Wenn's am End ums Letzte geht,
hab' ich wenig Leben:
bin ich nur eine Tat,
vollbracht, solang die Kühnheit währt,
bin nur eine Saat.«
Während sie sich bemühte, ihre Zaghaftigkeit zu meistern, traf sie ihre Vorbereitungen. Zunächst kochte sie eine dünne Brühe, zu deren Zubereitung sie heißes Wasser und ein staubfeines Pulver verwendete; letzteres entnahm sie einem ledernen Beutel, der zu ihren wenigen Habseligkeiten gehörte. Diese Brühe flößte sie Covenant ein, ohne ihn zu wecken. Sie vertiefte seinen Schlaf, gaben seiner besinnungslosen Ruhe eine solche Festigkeit, daß er nicht einmal aufgewacht wäre, ginge es jetzt um sein Leben. Als er schließlich völlig außerstande dazu war, sie bei ihren Maßnahmen zu behindern, begann sie ihn seiner Kleidung zu entledigen.
Langsam, indem sie das eigene Zögern benutzte, um die Gründlichkeit ihrer Vorbereitungen zu gewährleisten, zog sie ihm sämtliche Kleidungsstücke aus und wusch ihn vom Kopf bis zu den Füßen. Nachdem sie Spinngewebe, Dreck, alten Schweiß und verkrustetes Blut abgewaschen hatte, untersuchte sie ihn mit ihren Händen, tastete ihn vorsichtig ab, um sich des Umfangs seiner Leiden zu vergewissern. Dies Verfahren brauchte Zeit, aber für ihren unzulänglichen Mut ging es viel zu schnell.
Unverändert säumig, kramte sie aus dem Sortiment ihrer Habseligkeiten eines ihrer wenigen besonders kostbaren Besitztümer – ein langes, äußerst kunstfertig gewobenes Gewand aus einem Gewebe, das ebenso leicht war wie haltbar, leicht zu tragen, aber gleichzeitig warm. Es war ihr vor Jahrzehnten von einem berühmten Weber im Holzheim Hocherhaben geschenkt worden, weil sie sein
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