Die letzte Zeugin
blauen Glitzern –, bis er außer Sichtweite schwirrte.
»Warum möchtest du unbedingt mit jemandem zusammen sein, dessen Beziehungsfähigkeit eingeschränkt ist?«
»Vielleicht möchte ich gerne erleben, wie diese Person sich weiterentwickelt, und ich möchte ein Teil davon sein. Außerdem hänge ich an dir.«
»Es gibt noch andere Gründe, warum das mit uns nicht weitergehen sollte. Ich kann sie dir aber nicht sagen.«
»Noch nicht. Ich weiß, dass du vor etwas davonläufst, etwas, was dir so viel Angst macht, dass du diesen Hund, die Sicherheitsvorkehrungen, all die Waffen brauchst. Was auch immer dich gefangen hält, bildlich und tatsächlich, du wirst es mir schon noch erzählen, wenn du mir genug vertraust, wenn dir klar wird, dass schwach und bedürftig zu sein nicht das Gleiche ist, wie Hilfe zu brauchen. Aber jetzt mache ich erst einmal den Grill an.«
Sie stand ebenfalls auf. »Beruht dein Interesse an mir zum größten Teil auf Neugier? Dass du dich fragst, was ich vor dir verberge?«
Sie brauchte Aufrichtigkeit, mehr als die meisten Menschen, deshalb würde er auch ehrlich antworten. »So hat es begonnen. Natürlich frage ich mich das immer noch, schließlich bin ich Polizist. Aber zum größten Teil? In dem Moment, als du deine Geheimnisse ein ganz kleines bisschen gelüftet hast, Abigail, da hattest du mich. Du hattest mich«, wiederholte er. Er ergriff ihre Hand und drückte sie an sein Herz.
Sie blickte auf ihre Hand, unter der sie seinen starken, gleichmäßigen Herzschlag spürte. Und dann ließ sie sich gehen und legte ihre Wange an seine Brust. Als seine Arme sich um sie schlossen, kniff sie die Augen zu. Ihre Gefühle überwältigten sie. An einem kühlen Frühlingsabend so von jemandem gehalten zu werden, dem sie etwas bedeutete.
Es war wie ein Wunder, selbst für jemanden, der nicht daran glaubte.
»Ich weiß immer noch nicht, was ich mit der Sache, was ich mit dir anfangen soll.«
»Lassen wir uns einfach überraschen.«
»Ich kann es versuchen. Bleibst du über Nacht?«
Er drückte seine Lippen auf ihren Scheitel. »Ich dachte schon, du fragst nie mehr.«
Sie trat einen Schritt zurück und blickte ihn an. »Ich mache jetzt das Dressing für den Fertigsalat.«
Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. »Das wäre toll.«
Als sie nach drinnen ging, nahm er die Haube von ihrem Grill. Ja, sie hatte ihn tatsächlich, dachte er, mehr, als ihm lieb war. Aber er würde sich wahrscheinlich daran gewöhnen, genauso wie er fest daran glaubte, dass er mit der Zeit alle ihre Geheimnisse enträtseln würde.
In Chicago, zwei Blocks von dem Club entfernt, wo Ilya an einem Sommerabend Elizabeth Fitch begegnet war, betrat er die schmuddelige Wohnung, in der sich eine seiner profitabelsten Zentralen für Computerbetrug befand. Er überwachte diesen Bereich häufig selber, deshalb lief die Arbeit glatt weiter, obwohl seine Anwesenheit die Mitarbeiter nervös machte.
Einige Mitarbeiter saßen an den Rechnern und verschickten Spam-Mails, Angebote für Heimarbeit, kanadische Apotheken, Onlinedating, kostenlose Downloads. Bei manchen würden Gebühren entstehen – mitgeteilt von Telefonmitarbeitern, die die Leute aufs Glatteis führten, die naiv oder verzweifelt genug waren anzurufen. Andere stahlen einfach Kreditkarten-Informationen, um sie zu raschem Profit zu nutzen.
Hier wurde mit einem kleinen Apparat viel Gewinn erzielt.
Er hatte persönlich eine Variante der erprobten Nigeria-Scam entworfen, die nach wie vor ihr größter Geldbringer war.
Das machte ihn sehr stolz.
Er liebte die Arbeit und betrachtete sie als intellektuelles Training. Die Geschäfte liefen gut, besser noch als letztes Jahr. Der Hunger der menschlichen Natur nach dem schnellen Geld war durch keine Online-Warnung zu unterdrücken. Und um die Dummen um ihr Geld zu erleichtern, brauchte man nur einen Computer und ein Telefon.
Natürlich akzeptierte er Gewalt, wendete sie an, wenn es nötig war, befahl sie, wenn es sein musste. Aber er zog unblutige Verbrechen vor.
Er betrachtete sich selbst als Geschäftsmann. Bald würde er heiraten und selber eine Familie gründen. Er würde seine Söhne lehren, das Geschäft weiterzuführen und die blutigen Geschichten anderen zu überlassen. Männer wie Korotkii würden immer nützlich sein, aber für seine Söhne hatte er bessere Pläne.
Es gefiel ihm, wenn die Telefone klingelten und seine Mitarbeiter den vorbereiteten Text von sich gaben oder auch improvisierten, wenn es nötig war.
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