Die letzte Zeugin
nicht …« Beinahe hätte sie ihm gesagt, dass Abigail nicht ihr richtiger Name war. Wie konnte sie nur so unvorsichtig werden? »Das kannst du gar nicht wissen.«
»Du wolltest etwas ganz anderes sagen. Ich weiß, dass du vor jemandem oder vor etwas Angst hast. Du hast ein oder zwei harte Schläge auf deinem Weg mitbekommen und tust jetzt alles, was du kannst, um dich zu schützen. Das kann ich dir nicht verdenken.«
Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster hinter ihm und umgaben seine dunklen Haare mit goldenem Licht.
»Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll.«
»Hinter deinen Augen stehen viele Geheimnisse, und auf deinen Schultern liegt eine schwere Last. Ich glaube weiterhin fest daran, dass du eines Tages diese Geheimnisse und diese Last mit mir teilen wirst, und wenn du das getan hast, überlegen wir uns, wie wir weiter vorgehen.«
Sie schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab, um die Omeletts auf Teller zu legen. »Wir sollten nicht so reden, vor allem nicht jetzt. Am Ende kommst du noch zu spät zu deinen Terminen, und ich habe zwei neue Aufträge zu erledigen.«
»Herzlichen Glückwunsch. Soll ich für heute Abend was zum Essen mitbringen?«
»Ich habe noch Lasagne.«
»Noch besser.«
Sie stellte die Teller auf den Tisch. Der Toast sprang heraus, als sie sich setzte. »Ich habe dich nicht eingeladen.«
»Darüber sind wir schon hinaus.«
»Das wüsste ich aber.«
Er legte ihr eine Scheibe Toast auf den Teller und setzte sich ebenfalls. »Hmm, das sieht lecker aus.«
»Du wechselst lieber das Thema oder stimmst zu, statt dich zu streiten. Und weil du dir immer so sicher bist, bekommst du letztendlich deinen Willen.«
»Du kannst ebenso gut in Menschen lesen wie ich.« Er aß einen Bissen Omelett. »Schmeckt großartig. Damit könntest du Geld verdienen.«
»Du bist frustrierend.«
»Ich weiß. Aber das mache ich mit meinem guten Aussehen wieder wett.«
Sie wollte eigentlich nicht lächeln, kam aber nicht dagegen an. »So gut siehst du nun auch wieder nicht aus.«
Lachend aß er sein Frühstück.
Als er weg war, überlegte sie, welche Optionen sie hatte.
Sie konnte es ihm natürlich nicht erzählen, aber wenn sie es nun doch täte, was kam dabei heraus?
Sie wurde als Zeugin des Mordes an zwei U. S. Marshals gesucht. Als Polizeibeamter war er verpflichtet, sie festzunehmen. Und dann war zweifelhaft, ob sie lange genug leben würde, um auszusagen. Die Volkovs würden einen Weg finden, um sie zu eliminieren, wahrscheinlich durch einen ihrer Spitzel bei der Polizei.
Aber, und auch das wieder nur hypothetisch, wenn Brooks ihr glaubte, dass ihr Leben auf dem Spiel stand, wenn er seine Pflicht tat, dann würde er sicherlich weniger geneigt sein, dieser Pflicht nachzukommen.
Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie ihm von John und Terry erzählte, von Julie, von allem, was passiert war seit jenen schrecklichen Nächten. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, konnte nicht darüber theoretisieren, wie es sich anfühlen würde, mit ihm darüber zu sprechen, die Last mit ihm zu teilen.
Er war nett, dachte sie, gesetzestreu, und er tat immer das Richtige aus den richtigen Gründen. In vielerlei Hinsicht erinnerte er sie an John.
Wenn sie es ihm erzählte, wenn er ihr glaubte, würde er sie ebenso wie John beschützen wollen, ihr helfen wollen. Und wäre dann nicht auch sein Leben in Gefahr?
Noch ein Grund mehr, zu schweigen und so weiterzumachen, wie sie es in den vergangenen zwölf Jahren getan hatte.
Aber es hatte sich ja schon alles geändert, rief sie sich ins Gedächtnis. Nichts war mehr so, wie es gewesen war. Das hatte er bewirkt, und sie hatte es zugelassen. Wenn sie es ihm also erzählte, weil sich das Gleichgewicht sowieso schon verschoben hatte, würde sie sich darauf vorbereiten müssen, wieder wegzulaufen, erneut ihren Namen zu ändern – ob er ihr nun glaubte oder nicht.
Deshalb war es nur logisch und rational, dass sie es ihm nicht erzählte. Und nach und nach würde ihre Beziehung weniger eng werden, bis wieder ein Gleichgewicht eingetreten war. Und dann wäre ihr Leben wieder so wie früher.
Ihre Schlussfolgerungen hätten sie eigentlich mit Ruhe und Gewissheit erfüllen müssen. Stattdessen war sie unglücklich und unruhig.
18
Der Vormittag verlief ungefähr so, wie Brooks es sich vorgestellt hatte, mit ein paar Extrapunkten für die Guten.
Er hatte damit gerechnet, dass Justin und seine idiotischen Freunde auf Kaution freigelassen würden, und war davon
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