Die letzte Zeugin
dem Bad kam, hielt sie zwei Flaschen Wasser aus ihrer Kühlbox in der Hand. Sie reichte ihm eine und setzte sich auf die Bettkante. »Ich glaube, wenn ich du wäre, würde ich mich fragen, warum ich nie versucht habe, jemandem bei der Polizei alles zu erzählen.«
»Du wusstest ja nicht, wem du trauen konntest.«
»Das stimmt, zumindest am Anfang nicht. Und ich hatte Angst. Lange Zeit hatte ich Alpträume und Flashbacks, Panikattacken. Angstattacken habe ich immer noch gelegentlich, na ja, das hast du ja mitbekommen. Und abgesehen davon – es dauerte zwar, bis ich es verstand, aber ich glaubte, ich müsse tun, was John mir gesagt hatte. Es passierte alles so schnell, so gewaltsam und war so bedrängend. Heute ist mir klar, dass wir beide in diesem Moment gefangen waren. Und in diesem Moment hing mein Überleben von meiner Flucht ab.«
»Wenn du nicht weggelaufen wärst, wärst du gestorben. Das ist klar.«
»Ja. Das habe ich auch nie in Frage gestellt. In diesen ersten Tagen und Wochen war alles nur Panik. Ich wollte nur weg, mich verstecken. Wenn die Volkovs mich finden würden, würden sie mich töten. Wenn die Polizei mich finden würde, und es wären die Polizisten, die von den Volkovs bezahlt wurden, würden sie mich auch töten. Wenn es nicht diese Polizisten waren, würden sie mich vielleicht wegen Mordes einsperren. Also rannte ich weg und versteckte mich, so wie ich es dir erzählt habe.«
»Daraus kann dir keiner einen Vorwurf machen.«
»Vielleicht nicht. Ich war jung und traumatisiert. Ganz gleich, wie hoch der Intelligenzquotient ist, siebzehn ist immer noch unreif und unentwickelt. Aber nachdem einige Zeit vergangen war, begann ich klarer zu denken, über den Moment hinaus. Es musste doch auch andere Polizisten so wie John und Terry geben. Andere, die mir glaubten, die zuhörten, die sich bemühten, mich zu beschützen. Wie konnte ich immer weiter weglaufen und mich verstecken, wo ich doch die Einzige war, die den Mord an Julie gesehen hatte, die die Wahrheit über die Ermordung von John und Terry kannte? Also hackte ich mich in die Datenbanken des FBI s und der U. S. Marshals.«
»Das … das kannst du?«
»Ich tue es routinemäßig, aber ich habe in den ersten ein oder zwei Jahren meiner Flucht auch viel gelernt. Einiges von dem Jungen, von dem ich dir erzählt habe, einiges habe ich mir selbst beigebracht. Ich wollte alles über Cosgrove und Keegan erfahren und auch über Lynda Peski. Sie hatte sich an jenem Tag krankgemeldet. Stimmte das? Oder war sie nur ein weiterer Maulwurf der Volkovs? In ihrem Krankenblatt stand, dass sie auf Lebensmittelvergiftung behandelt worden war, deshalb …«
»Du hast Zugang zu ihren Krankenakten gehabt?«
»Ich habe viele Gesetze gebrochen. Du hast doch gesagt, manchmal ist es nötig, das Gesetz zu brechen.«
Er rieb sich über die Stirn. »Ja, das habe ich gesagt. Lass uns das mal zurückstellen. Du warst wie alt? Neunzehn oder zwanzig und hast dich in die Datenbank des FBI gehackt?«
»Ich wäre ein sehr guter Cyber-Ermittler geworden.«
»Ja, ein großer Verlust für die Polizei.«
»Ich glaubte auf jeden Fall und glaube es immer noch, dass Lynda Peski nicht dazugehörte. Sicher kann ich zwar selbst heute noch nicht sein, aber nichts deutet darauf hin, dass sie etwas anderes war als eine anständige Polizistin. Heute lebt sie im Ruhestand, verheiratet, mit zwei Kindern. Ich vermute, Cosgrove hat ihr an jenem Tag etwas ins Essen getan, um sie krank zu machen. Aber ich kann es nicht beweisen, und ich fühlte mich nicht sicher genug, um Kontakt zu ihr aufzunehmen. Ich glaubte und glaube immer noch, dass Detective Griffith und Detective Riley gute, aufrichtige Polizeibeamte sind. Aber ich zögerte, sie anzusprechen, weil sie bei der Polizei in Chicago sind und die Bundespolizei die Fälle häufig von der lokalen Polizei übernimmt. Hinzu kam, dass ich Angst hatte, ihr Leben in Gefahr zu bringen. Mir kam es sicherer und produktiver vor, alles erst einmal genau zu recherchieren. Außerdem brauchte ich Geld. Ich hatte fünfzehntausend Dollar, als ich weglief, aber ich hatte auch Ausgaben, das Fälschen der Dokumente, Transportmittel, Kleidung und so weiter. Am meisten Kenntnisse besaß ich von Computern, also arbeitete ich als Programmiererin. Ich entwickelte Programme und verkaufte sie. Es war lukrativ.«
»Tatsächlich?«
»Ja, und ich entwickelte ein Computerspiel, eigentlich drei zusammenhängende Spiele. Das war noch lukrativer.«
»Was für ein
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