Die letzte Zeugin
chemische Toilette, Kleidung, Perücken, Haarfärbemittel, Batterien. Taschenlampen, Hundefutter, Bücher, Haken, Werkzeug.
»Hast du ihn ganz alleine eingerichtet?«
»Ja. Ich musste alles lernen, wie gesagt. Und ich lernte. In einer Stahlkassette hier habe ich verschiedene Personalausweise und Pässe. Bargeld, Kreditkarten und Laminat und Papier, falls ich noch weitere Ausweise fälschen müsste. Es ist gegen das Gesetz.«
»Oh ja. Ich verhafte dich später. Okay, du weißt, wie du dich selbst schützen kannst, und du denkst vorausschauend. Wie lange machst du das jetzt schon?«
»Seit zwölf Jahren.«
»Lang genug. Es wird langsam Zeit, dass du aufhörst wegzulaufen.«
»Ich möchte ja. Heute dachte ich …«
»Was?«
»Es ist nicht rational.«
»Du lieber Himmel, Abigail.« Trotz allem musste er lachen. »Sei mal irrational.«
»Es kam mir vor wie ein Kreis, der sich schließt. Dass ich Ilya in Justin Blake gesehen habe und dass Lincoln Blake so ist, wie ich mir Sergei Volkov immer vorgestellt habe. Dass ich so vieles von dem, was ich bei John bewundert habe, in dir gefunden habe. Und dass ich festgestellt habe, dass ich in der Lage war, den Blakes die Stirn zu bieten. Ich konnte genau das Richtige tun, ohne gleich in Panik zu geraten und wegzulaufen. Es kam mir so vor, als könnte ich aufhören wegzulaufen, aber ich weiß nicht, ob ich es schaffe.«
»Doch, du schaffst es. Ich brauche noch ein Bier. Ich muss nachdenken. Wir überlegen uns alles genau und bringen die Angelegenheit in Ordnung.«
»Brooks …«
»Bier, nachdenken, überlegen und in Ordnung bringen. Du bist jetzt nicht mehr allein, Abigail. Daran wirst du dich auch gewöhnen müssen. Wie heißt du übrigens mit richtigem Namen?«
Sie holte tief Luft. »Elizabeth.« Ihre Stimme klang eingerostet, als sei sie nicht mehr an den Namen gewöhnt. »Elizabeth Fitch.«
Er legte den Kopf schräg. »Ich finde nicht, dass Elizabeth zu dir passt.«
»Für kurze Zeit war ich Liz.«
»Ja, das geht schon eher. Ich tendiere zu Abigail, aber Liz sehe ich auch in dir. Also.« Er ergriff ihre Hand. »Nett, dich kennenzulernen, Liz.«
22
Es war anstrengend für sie, stellte Brooks fest, als er da saß, sein Bier trank und nachdachte. Dass sie es ihm erzählt und dadurch alles noch einmal durchlebt hatte. Sie hockte völlig ermattet in der Ecke der Couch. Er schwieg und ließ sie ein wenig dösen, während das Feuer knisterte und der Wind ums Haus tobte.
Ein Sturm kommt, dachte er.
Zwölf Jahre auf der Flucht. Sie war gerade siebzehn gewesen und hatte niemanden gehabt, auf den sie sich verlassen oder stützen konnte.
Er dachte an sich selbst mit siebzehn. Seine größte Sorge war gewesen, wie er an einen stärkeren Schläger, einen schnelleren Handschuh kommen konnte, damit sein Traum in Erfüllung ging und er sich einen Namen als Baseball-Spieler machen konnte.
Und er hatte Sylbie begehrt.
Viel mehr war da nicht gewesen.
Ein bisschen Stress in der Schule, Streit mit Sylbie, Verärgerung über elterliche Forderungen und Regeln. Aber er hatte wenigstens Eltern gehabt, eine Familie, ein Zuhause, Freunde, Struktur.
Er konnte sich nicht vorstellen, wie es für sie gewesen sein musste, schon mit siebzehn ständig Angst um ihr Leben haben zu müssen. Sie hatte einen kaltblütigen Mord beobachtet, und vor ihren Augen war der Mann, der ihr ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gegeben hatte, verblutet, wobei er bis zuletzt versucht hatte, seine Pflicht zu erfüllen.
John Barrow hatte ihr gesagt, sie solle weglaufen. Zweifellos wollte er dadurch ihr Leben retten. Und sie war immer weitergelaufen.
Brooks betrachtete sie im Schlaf. Es war an der Zeit, dass sie aufhörte zu laufen, dachte er. Zeit, dass sie jemandem vertraute, ihr zu helfen.
Sergei und Ilya Volkov. Yakov Korotkii. Alexi Gurevich.
Er musste diese Leute unbedingt recherchieren oder auf Abigails Recherche zurückgreifen. Das, was man über sie wissen musste, war sowieso in ihren Dateien und in ihrem Kopf.
Das Gleiche galt für die Marshals Cosgrove und Keegan.
Brooks war der Überzeugung, dass ein bestechlicher Polizist die schlimmste Strafe verdient hatte. Ein Polizist, der einen anderen Polizisten für Geld getötet hatte? Für solche Typen war eine spezielle Sektion der Hölle reserviert. Und er wollte gerne derjenige sein, der Cosgrove und Keegan dort hinbrachte.
Er hatte da schon so eine Idee. Er musste noch ein bisschen überlegen, noch ein bisschen recherchieren. Aber ein
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