Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
Chris konnte den Blick nicht von Rosa abwenden – von seiner Frau. Sie würde wieder ihm gehören. Der Kuss, das Dahinschmelzen von Furcht und Stolz … Sie konnten einen Neuanfang wagen. Bis dahin genoss er einfach ihren wilden, berückenden Anblick, wie sie, von Dunkelheit umhüllt, mit vor Kummer und Wut blitzenden Augen dastand. Sie hatte aus beidem Waffen geschmiedet, die ihr über alles hinweghelfen würden.
Das musste er einfach glauben.
»Die Staubpiraten, diese dreckigen hijos de putas , haben Frauen aus unserer Stadt entführt, freie Frauen, die Glück und Sicherheit verdient haben.« Sie hielt inne und hätte jeden Bravo um den kleinen Finger wickeln können. »Heute Nacht holen wir sie uns zurück und setzen der Bedrohung ein für alle Mal ein Ende.«
Grünes Licht.
Die Männer ließen ihrem Jubel Taten folgen. Jemand startete den Truck, auf dem sich eifrige Bravos drängten. Chris fand sich neben Falco wieder. Er wandte sich ihm zu und streckte ihm die Hand hin. »Pass auf dich auf, Falco.«
Trotz der Differenzen zwischen ihnen schien Falco den Moment der Einigkeit ebenso zu empfinden. Er schüttelte Chris die Hand. »Du auch, du verrückter Hurensohn.«
Dann war er fort.
Jameson stieß mitten auf der Hauptstraße zu den Bravos. Tilly stand mit feuchten Wangen auf der Veranda das Ladens und hielt Esperanza auf dem Arm. Sie warf ihrem Partner eine Kusshand zu.
»Du musst nicht mit«, sagte Chris zu ihm.
»Ich bin ein Bravo. Die Stadt ist wichtiger als jeder einzelne von uns.« Er wies mit dem Daumen zurück zum Laden, wo Brick neben Tilly Stellung bezogen hatte. Der Hüne hielt ein halbautomatisches Maschinengewehr in der Hand und hatte einen Arm um Jolene gelegt. »Aber es ist ja nicht so, dass ich sie ganz allein lasse. Ich tue das für Singer, genauso, wie Brick für mich auf Tilly aufpasst. So sollte es sein.«
Ex kam auf einem Motorrad angefahren und hielt mit quietschenden Reifen neben Chris. »Steig auf, Bruder.«
Er tat, was der schweigsame Mann ihm sagte, und sah zu, wie ihre kleine Armee die Stadt verließ.
Ex warf einen Blick über die Schulter und zog fragend eine Augenbraue hoch. »Sag mal, Doc …«
»Ja?«
»Jagen Leoparden Vielfraße?«
Ah, das hat Rosa also gemeint.
Chris bedachte ihn mit einem angespannten Lächeln. »Nein, solange sie nicht den Verstand verloren haben.«
39
Ein kalter Wind fegte von den Bergen herab und strich über Besenkraut und Wüstenbeifuß, aber Benzin und Motorenöl überlagerten diese natürlichen Gerüche der Wüste fast völlig. Der Truck holperte, weil sie quer durchs Gelände fuhren. Rosa saß neben Falco im Fahrerhaus. Er war noch immer der beste Fahrer in ganz Valle – und der einzige, bei dem sie darauf vertraute, dass er den Truck nicht in eine Schlucht lenken würde.
Die Bravos, die sich hinten drängten, scherzten und überboten sich mit Versprechungen, wie schnell der Kampf vorbei sein oder wer die meisten Feinde töten würde. Natürlich war das alles reine Prahlerei. Es konnte so viel schiefgehen. Trotz ihrer aufpeitschenden Rede wusste Rosa, dass ein Triumph alles andere als sicher war. Der Plan hing von unsinnig vielen Variablen ab.
»Es tut mir leid«, sagte Falco über das Rattern des Motors hinweg.
Sie wusste, wofür er sich entschuldigte, und warum er es gerade jetzt tat. Vor einer Schlacht war es das Beste, Liegengebliebenes zu erledigen, um nicht doch noch etwas zu bereuen. Das hätte der Wahlspruch ihrer Stadt sein können.
» No te perocupes. Está bien. «
Und das war alles, was sie sagen musste. Zwischen ihnen herrschte keine dicke Luft mehr, zum ersten Mal seit Ewigkeiten – es war kein stummer Groll mehr zu spüren. Sie gestattete sich ein angespanntes Lächeln.
Falco parkte den Truck. Die Bravos griffen mit geübten Bewegungen zu den Waffen; der uralte Wagen geriet ins Schwanken, als die Männer abstiegen. Rosa konzentrierte sich auf ihre Atmung, statt an das Chaos zu denken, das nachher ausbrechen würde.
Das ist für Viv und für Wicker.
Obwohl sie auch um Ingrid und die anderen gefallenen Bravos trauerte, war das in ihren Augen etwas anderes. Diese Bravos hatten schließlich von Anfang an freiwillig gekämpft, während Viv und Wicker die Stadt nie hätten verteidigen sollen – und doch hatten sie es bis zum letzten Atemzug getan. Vor Zorn und Trauer kniff sie den Mund zu einer schmalen Linie zusammen.
Während die anderen ihre Ausrüstung überprüften, nahm Cristián sie beiseite. Er umschloss ihr
Weitere Kostenlose Bücher