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Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)

Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)

Titel: Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Connor
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hatte ihr schon am Morgen von Chris’ Besuch im Laden erzählt; sie war sehr neugierig, was er wohl einzutauschen hatte. Aber das konnte bis morgen warten. Der Spaziergang zum äußersten Ende der Stadt verschaffte ihr die Zeit, über Ingrids Besorgnis in Bezug auf die Staubpiraten nachzudenken. Rosa teilte sie, aber sie wusste nicht, wie sie die Dreckskerle anders als durch ständige Patrouillen aufspüren sollte.
    Peltz’ Überfälle erschwerten es ihr mittlerweile, aus den Lieferungen Kapital zu schlagen, die durch ihr Territorium transportiert wurden. Das musste ein Ende finden. Rosas Männer raubten nur diejenigen aus, die sich weigerten, den Wegzoll für freies Geleit durch ihr Territorium zu zahlen – ein Territorium, in das Peltz oft ungebeten eindrang, ganz zu schweigen von seinen Angriffen auf die Stadt selbst. Seine Respektlosigkeit machte sie fuchsteufelswild.
    Im Handumdrehen stand sie vor Bees Lehmziegelhaus. Schon hier draußen war das Summen der Insekten sehr laut, und zahlreiche Insekten umschwirrten Rosa. Das war für sie ein wenig beunruhigend. Dennoch rief sie: »Ich bin mit deinen Tauschwaren hier.«
    Es dauerte eine Weile, bis die alte Frau sich blicken ließ. Sie bot mit ihrem langen Mantel, ihrer dicken Brille und ihrem wilden grauen Haar, das sie auf dem Kopf zu einem unglaublichen Knoten geschlungen hatte, ein exzentrisches Bild. Rosa war sich nicht sicher, wie alt genau Bee war – sie konnte alles zwischen fünfundvierzig und sechzig sein. Und wie immer krabbelten Bienen auf ihren Händen und Armen herum, landeten auf ihren mageren Wangen und umschwärmten ihren Kopf. Rosa besuchte sie, weil niemand sonst dazu bereit war, aber auch, weil jede Weigerung, einfach schreiend davonzulaufen, sie ein wenig stärker machte.
    »Bitte schön«, sagte sie und streckte Bee den Korb hin.
    Die andere Frau starrte mit glasigen Augen über Rosas Schulter hinweg, als ob sie etwas hinter ihr entdeckt hätte. Rosa kämpfte gegen das Bedürfnis an, herumzuwirbeln und selbst hinzusehen. Bei ihren ersten paar Besuchen hatte sie es tatsächlich getan, bis sie dann zu dem Schluss gekommen war, dass Bee in einer anderen Welt lebte als der, die sie kannte. Zumindest nicht ganz in derselben, und nicht vollkommen.
    Bee nahm die Vorräte mit langen, schmutzigen Fingern entgegen und schlurfte ins Haus, in dem die Bienenstöcke standen. Die Vorstellung, dass die Tiere um ihr Essen und ihre Getränke kreisten und sich in ihrem Haar einnisteten, ließ Rosa ein wenig schwindelig werden.
    Reg dich ab. Wir brauchen den Honig.
    Schließlich war der Tausch vollzogen, stumm wie immer. Rosa nahm den Korb voller Honigtöpfe entgegen und trat zurück, damit Bee die Tür schließen konnte. Aber das tat sie nicht. Stattdessen blieb sie noch einen Moment lang stehen, den Blick weiterhin zum Horizont gerichtet. Diesmal konnte Rosa dem Drang, sich umzudrehen, nicht widerstehen. Als sie es tat, sah sie genau das, womit sie gerechnet hatte: Nichts.
    Doch auf einmal streckte Bee die Hand aus. Hunderte gelb-braun gestreifte Insekten bedeckten ihren dünnen Arm. Dann sprach sie zum ersten Mal in all den Jahren, die Rosa sie nun kannte, mit einer Stimme, die klang, als würden rostige Nägel mit einer schweren Feile zerrieben: »Der Schatten senkt sich herab. Valle brennt. Alles wandelt sich. Die Welt wird aus dem Feuer neu geboren.«
    Ein Schauer durchlief Rosa. »Was hat das zu bedeuten?«
    Aber sosehr sie sich auch bemühte, mehr bekam sie aus Bee nicht heraus. Inmitten des Schwarms, der einer dunklen Wolke glich, kostete es Rosa alle Selbstbeherrschung, nicht in Panik zu geraten und nach den Bienen zu schlagen. Mit den langsamen Bewegungen einer Schlafwandlerin kehrte die alte Frau in ihr Haus zurück. Das Einzige, was von ihren gespenstischen Worten blieb, war das Summen ihrer Bienen.

8
    Am nächsten Tag wartete Chris mit Rosa im Laden auf Wicker. Sie stand mit verschränkten Armen neben ihm. Ihre scharf geschnittene Hakennase ließ vermuten, dass sie Indianerblut in den Adern hatte. Was für ein starkes Profil. Nichts an ihr war schwach. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, ein kleines Königreich aus der Asche der alten Welt emporwachsen zu lassen. Chris bewunderte ihre Entschlossenheit, aber sie war verrückt, wenn sie glaubte, dass das hier von Dauer sein würde.
    Doch Valle war ein Ort, an dem man es sich leicht gemütlich machen konnte. Er verstand, warum Menschen sich hier ansiedelten: Gutes Essen, eine starke Gemeinschaft,

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