Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
und klatschten im Takt. Nicht zum ersten Mal winkte er sie zu sich. Aber zum hundertsten Mal lachte sie und schüttelte den Kopf. Zorn blitzte in seinem hübschen Gesicht auf. Ganz gleich, was für ein Leben er vor dem Wandel geführt haben mochte, es hatte ihn nicht gelehrt, damit umzugehen, dass man ihm etwas abschlug.
Da hatte er Pech gehabt.
Jolene machte ihm schon seit vier Monaten schöne Augen. Sie war eine braunhaarige Frau Mitte dreißig, die früher wahrscheinlich übergewichtig gewesen war. Aber die harte Arbeit im Gemeinschaftsgarten und der Mangel an Fastfood und raffiniertem Zucker hatten ihren Körper gestrafft. Aufgrund ihres Knochenbaus würde Jolene nie Singers nymphengleiche Zierlichkeit oder auch nur Rosas feste, straffe Muskulatur entwickeln, aber manche Männer – vor allem Brick – mochten kräftige Frauen. Falco gehörte nicht zu ihnen. Gott, wie Rosa sich wünschte, dass er Jolenes Interesse bemerken und sie selbst verdammt noch mal in Ruhe lassen würde!
Jo schenkte ihm einen allerletzten Blick und grinste dann Brick an, der für sie tanzte. Sie zumindest schien in der Lage zu sein, vernünftig zu werden. Als der hünenhafte Mann auf sie zutrat, ergriff sie seine Hand und schwang mit ihm das Tanzbein: Absatz hoch, Schritt nach rechts, herumwirbeln. Verdammt, es machte ihnen solchen Spaß! Mit einem leisen Seufzen wünschte Rosa sich, sie hätte ohne Partner tanzen können, wie einer der Männer.
Sie legte den Kopf in den Nacken, ließ die Musik über sich hinwegspülen und sah zu den Sternen auf. Die Fackeln und Lampen hier konnten mit dem spektakulären Lichterspiel am Himmel nicht mithalten. Wie seltsam, die eigenen Enkelkinder würden einem nicht glauben, dass es einmal eine Zeit gegeben hatte, in der menschengemachte Lichter so hell gewesen waren, dass sie die Sterne verschleiert hatten. Jene Welt kam Rosa jetzt wie ein ferner Traum vor, während nichts echter war als der Wüstenhimmel, an dem das Schwarz sich mit Diamantstaub vermengte.
»Warum tanzt du nicht?«
Natürlich musste der Doc ihre Betrachtung der Sterne unterbrechen. Rosa drehte sich zu ihm um und staunte über das, was sie sah – Chris Welsh, als wäre es das erste Mal.
Er musste ein Rasiermesser eingetauscht haben. Der Bart hatte schmale, kantige Züge voll männlicher Schönheit und sonnengebräunte Haut verdeckt. Eine Mähne üppigen, schokoladenbraunen Haars fiel ihm in zottigen Wellen bis auf den Kragen und ließ sein Gesicht, das Tragisches gesehen hatte, weicher wirken. In seinen goldbraunen Augen stand ein vertrauter Kummer, als ob etwas auf ihm lastete, das unerträglich schwer, aber zugleich zu persönlich war, um es abzulegen. Auch sie trug eine solche Last: Sie wusste, dass sie nie über den Tod ihres Bruders hinwegkommen würde.
Lauf, Rosa!
Josés Stimme hallte in ihrem Kopf wider und übertönte die Musik. Einen Moment lang hörte sie nur Schreie, und es kostete sie Mühe, ihre Gedanken in Worte zu fassen.
Verspätet beantwortete sie seine Frage. »Wenn eine Frau die Aufforderung eines Mannes in einer Feuernacht annimmt, dann heißt das mehr oder minder, dass sie gedenkt, die Nacht mit ihm zu verbringen.«
»Hilfreich«, sagte Chris. »Geradeheraus. Da besteht nicht die Gefahr, dass etwas missverstanden wird.«
»Genau.«
»Warum nennt ihr es Feuernacht?«
»Weil alle Dampf ablassen.«
Zumindest die meisten.
Sie beobachtete Lem, den jungen Mann, den sie ausgepeitscht hatte, mit einem Anflug von Besorgnis. Er war kaum älter als einundzwanzig, unansehnlich und konnte nicht mit Leuten umgehen. Der Junge war in Singer verschossen, aber sie hatte kein Interesse an ihm. Dennoch beobachtete er sie, sogar noch während er tanzte. Rosas Gespür für Gefahren regte sich. Sie hatte gehofft, dass die Bestrafung in Kombination mit Vivs mütterlichem Trost ihn von weiteren Missetaten abschrecken würde, aber wenn sie Lems Gesichtsausdruck richtig deutete, konnte sie sich nicht vorstellen, dass das hier ein gutes Ende nehmen würde. Wickers Bericht, dass Lem auch weiterhin versuchte, Alkohol einzutauschen, beruhigte sie nicht gerade, doch sie konnte ihn nicht für etwas, das er nur vielleicht tun würde, verbannen.
»Aber du nicht, Jefa «, sagte Chris mit einem seltsamen Unterton, den sie nicht ganz einordnen konnte.
Einen Moment lang war sie versucht, ihm zu erzählen, wie schwer es manchmal war, aber sie würde nicht den Fehler begehen, sich vor einem Mann eine Blöße zu geben, selbst wenn er darauf
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