Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
du das nicht, aber ich glaube, du weißt es sehr wohl.«
»Sollen wir es also gleich hier tun, sí ? Heute steht schließlich der Mond am Himmel.«
»Nein, du hast eine Stadt zu regieren. Dafür habe ich Verständnis. Ich bin nicht hier, um deine Herrschaft zu untergraben.«
Sie stand abrupt auf und klopfte sich den Staub von der Hose. »Verpiss dich, Welsh.«
Instinktiv griff er nach oben und nahm ihre Hand. Sie blieb stehen; ihr Körper erstarrte schlagartig. Chris rechnete damit, jeden Augenblick einen Fausthieb ins Gesicht zu bekommen, aber die überraschende Berührung schien sie zu lähmen – wie ihn. Ihre Haut war von der Nachtluft oberflächlich kühl, aber darunter lagen Blut und Fleisch, ganz warm, lebendig und pulsierend.
Chris war seit über drei Jahren allein und auf Wanderschaft. Solch eine Weite, beinahe völlig menschenleer. Die Anzahl von Gelegenheiten, bei denen er ein anderes Lebewesen berührt und festgehalten hatte, war verschwindend gering. Fels war Fels. Die Luft war die Luft. Er hatte das Gefühl, mehr mit den Elementen als mit diesen Menschen gemein zu haben. Die Vorstellung, in ihren Kreis zurückzukehren, war unbestreitbar verlockend. Und zugleich entsetzlich.
Chris drückte ihre Hand leicht und ließ sie dann los. Er ballte die Finger zur Faust und schlang die andere Hand darum, als würde er einen Schmetterling fangen.
»Ich will, dass du noch etwas weißt«, sagte er. »Neu lich im Laden … Ich würde unter keinen Umständen Waren eintauschen, um eine Frau dazu zu bringen, mit mir ins Bett zu gehen.«
Rosa räusperte sich. Die Wölbung ihres Oberschenkels lag für Chris auf Augenhöhe. Diese Nähe führte ihn in Versuchung, die Hand um die Rückseite ihres Beins zu schlingen, genau an der Stelle, wo es ins Gesäß überging, ihren Körper zu seinem herumzudrehen, an ihrem Bauch zu knabbern …
»Warum hast du dann so etwas gesagt?«
»Ganz ehrlich? Um dich zu provozieren. Du bist eine harte Frau.«
Sie konnte ein Lachen nicht unterdrücken.
»Aber ich wollte auch wissen, was für ein Ort das hier ist. Was für Menschen ihr geworden seid.« Er streckte sich aus und machte die Beine lang. Der Felsen schnitt ihm in die Ellenbogen, als er sein Gewicht darauf verlagerte. »Du hast gefragt, was da draußen ist.«
»Ja.«
»Richtig heftige Scheiße.«
»Scheiße, in der Frauen sich Medikamente mit Sex erkaufen müssen?«
»Ja«, sagte er, »aber so bin ich nicht.«
»Valle de Bravo auch nicht. Das werde ich nicht zulassen. Niemals.«
Die Schroffheit ihres Tonfalls verriet ihm viel, ohne auch nur eines ihrer Geheimnisse zu lüften. Chris schloss die Augen und hob das Gesicht zum Himmel. Er konnte das Sternenlicht beinahe spüren. Seine Sinne hatten sich geöffnet und nahmen alles hochauflösend wahr. Er legte die Zunge an den Gaumen, presste sie fest dagegen, um den Mund zu halten.
»Wie hast du den Wandel überlebt?«, flüsterte sie.
Chris gestattete sich ein sanftes Lächeln und ein bisschen Nostalgie. »Ich hatte Glück. Die richtigen Leute haben an meine Tür geklopft. Und du?«
»Ich bin wohl einfach zu halsstarrig, um zu sterben.«
Sein Lächeln wurde breiter. »Das klingt gut, finde ich. Mit dir muss das Leben interessant sein.«
»Was soll ich sagen? Ich bin eben begabt.«
Sie verlagerte ihr Gewicht. Chris hätte gern aufgeschaut und sie betrachtet. Lächelte sie? Er hörte die Heiterkeit in ihrer Stimme, wagte es aber nicht, sich zu rühren, um sie nicht zu verscheuchen.
»Chris?«
»Hmm?«
»Ich habe Bücher.«
Er wusste nicht, was ihn weiter schweigen ließ – die grandiose Aussicht, neuen Lesestoff zu finden, oder die Tatsache, dass sie es eingestanden hatte. Er erkannte einen Vertrauensvorschuss, wenn er ihn bekam.
Ein Déjà-vu tauchte vor seinem inneren Auge auf. Dieser Traum.
Er hatte vor einigen Nächten alle Einzelheiten dieses Augenblicks in einem Traum gesehen. Rosa, die so dastand, dass ihre Hüften sich für ihn auf Augenhöhe befanden. Die Nachtluft. Der Felsen über dem Tal. Und sie hatte erwähnt, dass sie Bücher hatte. Dann hatten sie auf die konfuse Art, in der Träume funktionierten, einen Zeitsprung gemacht. Er hatte sich selbst vom Felsen springen sehen, in dem Wissen, dass insgeheim Gewalt nach Valle eingedrungen war – fünfzig Mann zu Fuß.
Als Chris aufgewacht war, hatte er es für eine lächerliche Einbildung gehalten, und sei es nur, weil niemand mehr Bücher hatte. Sie waren alle vor Jahren schon als Brennmaterial
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