Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
Riesenbiest wieder in die Straßenmitte zu lenken. Sie bremste heftig keuchend ab, aber ihre Atmung begann sich zu beruhigen, als sie anhielt.
Ihre Seite schmerzte, aber sie konnte nicht zulassen, dass jemand sah, wie geschwächt sie war. Sie zwang sich, aus dem Truck zu springen und entschlossen auf dem Asphalt zu landen. Rosa ging um den Sattelschlepper herum, um festzustellen, wie es stand. Vor ihr hatten Rio und Lem beide ihre Laster angehalten, dabei aber gehörig etwas abbekommen. Lem hatte sich irgendwie das Gesicht aufgeschlagen, und Rio hatte eine Schnittwunde am Oberschenkel. Keines der Fahrzeuge enthielt Fracht. Sie waren voller bewaffneter Männer gewesen, die das Feuer eröffnet hatten, als ihre Leute sich hatten zurückfallen lassen. Das deutete darauf hin, dass sie ihre Taktik und ihre Strategie durchschauten. Wahrscheinlich wusste O’Malley also doch über Valle Bescheid.
»Wie sieht es aus?«, fragte sie und machte mit einem raschen Blick Bestandsaufnahme.
Und vermisste einen Mann.
Eine Hand auf ihre Seite gepresst, lief sie hundert Meter zurück und fand Manuel neben seinem Motorrad. Vier Kugeln in der Brust. Als Rosa sich näherte, schlug er die Augen auf und zuckte mit den Fingern, als ob er Trost suchte. Mit zugeschnürter Kehle kniete sie sich neben ihn und war sich bewusst, dass die anderen Bravos ihr folgten. Sie hatten sie noch nie auf den Knien liegen sehen – aber bisher hatte sie ja auch noch keinen von ihnen in eine Falle geführt.
»Sorg dafür … dass es nicht umsonst war«, flüsterte Manuel.
»Das tue ich. Die Dreckskerle werden dafür bezahlen, das verspreche ich dir.«
Blut sickerte zwischen seinen geöffneten Lippen hervor. Er hatte die Augen vor Qual weit aufgerissen. Ein starker Mann mit einem Herzen wie seinem konnte länger leben, als er es verdient hatte, und dabei die ganze Zeit leiden. Sie hatten keine Möglichkeit, den Schaden zu beheben, den vier Kugeln in seiner Brust und seinem Bauch angerichtet hatten. Nach Manuels Gesichtsausdruck zu urteilen wusste er das auch.
»Bete … mit mir … patrona .«
Ihr Schmerz nahm ein unerträgliches Ausmaß an. Rosa hatte diesen Titel nicht verdient. Eine patrona war eine Mischung aus einer großen Dame und einer freigiebigen Gönnerin, eine Frau, die ihre Leute beschützte und dafür sorgte, dass sie in Sicherheit und Wohlstand lebten. Dass er sie in seinen letzten Augenblicken so anredete, traf sie bis ins Mark. Tränen sammelten sich hinter ihren Augenlidern, aber sie ließ ihnen nicht freien Lauf. Über ihnen brannte die Sonne unbarmherzig und ließ Kristalle im Asphalt funkeln. Hoch oben kreisten die Geier. Rosa neigte den Kopf und ergriff Manuels Hand, die sich, rutschig vor Blut, um ihre krampfte und ihre Haut kupferrot färbte. Der süßliche Gestank des Blutes vermischte sich mit ihrem Schweiß.
Kein Priester. Kein geweihtes Öl, um ihm die Stirn zu salben. Er hatte nur Rosa Cortez – und sie war sich noch nie unzulänglicher vorgekommen. Einen schrecklichen Augenblick lang befürchtete sie, alle Gebete vergessen zu haben, aber dann fiel ihr eines ein. Die Bravos standen in unheilverkündendem Schweigen da.
»Nimm ihn freudig und gnädig bei Dir auf, und empfange ihn wie einen Helden, denn er ist der tapferste Mann überhaupt. Heilige Maria, Mutter der Gnade, Mutter der Barmherzigkeit, behüte ihn vor dem Feind und empfange ihn in der Stunde seines Todes. Bereite ihm einen Platz in den Hallen der Seligen. Vater, in Deine Hände befehle ich seinen Geist. Amen.«
Als hätte Manuel nur auf diesen Moment gewartet, sog er einen letzten, qualvollen Atemzug ein. Seine Finger glitten aus ihren. Rosa hatte schon früher Menschen sterben sehen und immer gedacht, dass es dramatischer sein müsste. Sie hatte aus dem Fernsehen gelernt, dass der Körper unmittelbar nach dem Tod einundzwanzig Gramm leichter wurde. Ihre abuela hatte behauptet, das läge an der entfleuchenden Seele, deren Fehlen die körperliche Hülle leichter machte.
»Erholt er sich wieder?«, fragte Rio.
Mierda . Manchmal vergaß sie, wie jung er war. Sie wollte ihm nicht die Wahrheit sagen, wollte sich mit der ganzen verdammten Scheiße nicht abgeben müssen, aber das war ihr Job.
Rosa stemmte sich auf die Beine, drehte sich um und zwang sich, die richtigen Worte zu finden.
»Nein«, sagte sie leise. »Er ist nicht mehr in dieser Welt. Ladet sein Motorrad auf. Ich fahre ihn in die Stadt, damit wir eine anständige Trauerfeier abhalten können.«
»Du
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