Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
deshalb kennenlernen, weil er einfach neugierig war. Er war schon Menschengrüppchen begegnet, die sich nur noch mit Müh und Not ans Leben klammerten und vom Wandel und der nachfolgenden Barbarei hatten einschüchtern lassen. Andere zogen nicht die Köpfe ein, sondern kämpften bis zur völligen Vernichtung. Kein Gemeinschaftssinn. Kein Anflug von Menschlichkeit. Was er aber noch nicht erlebt hatte, war eine funktionierende Gruppe, die groß genug war, um etwas wie den Überfall auf dem Highway zustande zu bringen.
Er wollte auch wissen, woher diese Laster stammten. Auf seiner Wanderung von der nordwestlichen Pazifikküste nach Süden war er auf nichts gestoßen, was die Theorie widerlegt hätte, dass die Zivilisation am Ende war. Sattelschlepper, die Versorgungsgüter in Massen lieferten, sprachen aber für etwas anderes, und er wollte wissen, wer jetzt nach dem Wandel die Welt lenkte. Er würde herausfinden, so viel er konnte, und dann weiterziehen.
Lange genug zu bleiben, um Freunde zu gewinnen und sie dann sterben zu sehen, war einfach zu schwer.
»Wirf mir die Schlüssel vor die Füße«, sagte Chris. »Ich gebe sie dir zurück, wenn wir euer Lager erreicht haben. Jetzt gehen wir erst einmal zu Fuß.«
»Sie werden sich geschlossen auf dich stürzen, verstehst du? Wenn nicht gleich, dann spätestens, wenn wir in Valle de Bravo ankommen.«
Tal des Tapferen? Nett. Es gefiel Chris, wie selbstbewusst es klang – ein großer Mittelfinger, der dem ganzen Mist entgegengestreckt wurde.
»Dann musst du sie einfach überzeugen, dass ich es ernst meine und es wert bin, am Leben gelassen zu werden.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil du meiner Pistole am nächsten bist. Und es ist mir ernst damit, dass ich nichts zu verlieren habe.«
3
Rosa hasste diesen Teil ihres Jobs.
Ein Sieg konnte ansonsten völlig anständige Männer in Arschlöcher verwandeln, aber wenn einer von ihnen zu weit ging, statuierte sie ein Exempel an ihm. Gott sei Dank war es dem Idioten nicht gelungen, Singer zu vergewaltigen, sonst wäre er nicht zu retten gewesen. Er hatte nach ihrer Rückkehr von dem Überfall über die Stränge geschlagen und seine guten Manieren vergessen.
Dennoch konnten sie ihm das nicht einfach so durchgehen lassen. Der Bravo, Lem, stand mit verbundenen Augen an den Pfahl in der Stadtmitte gefesselt. Dass Rosa kurzen Prozess machte, sorgte dafür, dass sie die Zügel weiter in der Hand behielt. Sobald sie auch nur einen Anflug von Zögern zeigte, würde Falco versuchen, die Führung zu übernehmen, und Valle zu regieren verlangte einem zu viel Energie ab, als dass man sich inneren Kämpfen hätte stellen können, besonders da Peltz’ Übergriffe immer dreister wurden.
Rosa ließ den Blick über ihr Publikum schweifen. Die meisten Stadtbewohner waren auf die Straße geströmt, als die Laster angekommen waren, und blieben nun, um sich die Auspeitschung anzusehen. Sie holte mit dem Arm aus und erprobte das Leder, das knallend in der Luft schnalzte. Der an den Pfahl gefesselte Lem stieß einen Laut aus, der halb Zorn, halb Entsetzen verriet. Strafen waren immer schlimmer, wenn man sie nicht kommen sehen konnte. Als alle spürten, dass Rosa bereit war zu beginnen, wurde die Menge ruhig.
»Lem hat Singers Wünsche nicht respektiert, als sie ihn gebeten hat, sie in Ruhe zu lassen.« Rosas Stimme trug weit durch die Wüstenstille. »Das beweisen die Prellungen an ihren Armen. Da das hier sein erstes Vergehen war, bekommt er zehn Peitschenhiebe.«
Sie musste nicht aussprechen, was geschehen würde, wenn er sich ein zweites Mal etwas zuschulden kommen ließ. Valle de Bravo duldete keine Wiederholungstäter. Wenn es dazu kam, führte Rosa die Hinrichtung selbst durch. Es gefiel ihr zwar nicht, aber manchmal musste man als Anführerin einfach in den sauren Apfel beißen.
Obwohl der Tag noch jung war, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Schweiß lief ihr über die Stirn. Ohne ein weiteres Wort begann sie auf den jungen Mann einzuschlagen. Ihre Peitsche biss in Lems Rücken, aber er schrie nicht auf. Das Leder riss ihm die Haut auf, tief genug, um Spuren zu hinterlassen, aber nicht so weit, dass er entstellt sein würde.
Lem ließ die zehn Peitschenhiebe über sich ergehen. Als Rosa fertig war, band Viv ihn los und führte ihn in die taberna , um ihm einen Drink zu spendieren. Sie würde wahrscheinlich seine Wunden verarzten und sicherstellen, dass er keinen anhaltenden Hass auf Frauen entwickelte. Rosa und sie waren
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