Die letzten Dinge - Roman
shit, sagte er sich, shit, shit, shit. Und in übermächtiger Reue fuhr er ausdünstend, durstig, versifft, mit Dreck im Mund und rot umränderten Augen auf die Arbeit.
Diesmal würden sie ihn feuern.
Dieser Tag würde sein letzter sein.
Rosalinde hatte es schon hundertmal gesagt.
Pater Ludolfus klappte das Anliegenbuch auf, nahm die unzähligen hingekritzelten Wünsche auf Papier heraus und heftete neue, unbescholtene Blätter hinein für die weiteren tausend Gebete der Gläubigen. Und während er all die Herzensangelegenheiten achtlos in ein Körbchen warf, dachte er unentwegt an das Gespenst.
Natürlich gibt es Geister, hatte Pater Pedro gesagt, der lange in Brasilien gewesen war. Wenn ein Geist da ist, dann muss man einen Schamanen holen, ganz einfach!
Schamanen. Wo sollte er denn hier einen Schamanen herkriegen außer bei irgendwelchen ausgeflippten hessischen Esoterikern?
Pater Ludolfus grübelte und grübelte.
Eine Dame … die nicht merkte, dass sie gestorben war … und die immer helfen wollte … Wenn das nun alles stimmte, was Donna Lucia gesagt hatte?
Kurz entschlossen griff er zum Telefon. Aus dem Internet hatte er eine Telefonnummer von einem parapsychologischen Institut in Tübingen. Er schilderte das Phänomen einer höflichen Dame mit leicht schwäbischem Akzent. Die Dame zögerte zunächst, dann holte sie aus und sagte förmlich:
Das gibt es, ja. Das gibt es. Das hängt zusammen mit einer anwesenden Fokusperson, die irgendein Problem hat.
Also, mir wäre es lieb, Sie könnten jemanden herschicken, der das Phänomen untersucht.
Dafür haben wir kein Geld, sagte die Dame. Wir sind ja schließlich keine Geisterjäger.
Kennen Sie denn vielleicht ein gutes Medium, das man fragen könnte?
Ach, stöhnte die Frau. Die Leute fragen immer nach einem Medium. Aber wenn Sie ein Medium fragen, dann bringt das nur seine eigenen Geschichten mit und interpretiert wild herum. Nein, das können wir nicht empfehlen.
Was empfehlen Sie denn?
Klären Sie zunächst einmal, wer von den betroffenen Angestellten, der das Gespenst sehen kann, ein psychisches Problem hat. Klärt man das Problem dieser Person, so verschwindet auch die Erscheinung. Es handelt sich da nämlich keinesfalls um ein Gespenst, so was gibt es nicht.
Pater Ludolfus stutzte. Er verstand nicht. Vielleicht hatte das Institut ein Image- oder Glaubwürdigkeitsproblem und stritt alles ab, wofür es zuständig war?
Wenn es kein Geist ist, was ist es denn?
Die Dame holte noch einmal aus und gab Pater Ludolfus freundlich, aber bestimmt eine kapitale verbale Breitseite:
Es handelt sich da um »nicht lokale Korrelationen« -sagte sie und dass es »nichtphysikalische Übereinstimmungen« gäbe. Sie ging über zu den »Bedeutungsräumen in der Zeit« und meinte, die Natur lasse kein »Interventionsparadox« zu. Es seien da »Musterübereinstimmungen, verschränkte Systeme und Auflösungen von Verschränkungen«. Überhaupt gehe das alles nur von einer Fokusperson aus, irgendetwas sei mit dem Gesamtsystem, der sogenannten »Fama« nicht in Ordnung. Punkt.
Besser könnte sie es ihm jetzt nicht erklären.
Aha, sagte Ludolfus ratlos. Dann bedankte er sich artig und legte auf.
Er wusste gar nichts mehr. So ein Reinfall. Unruhig blickte er auf seinen vollen Schreibtisch. Um 12.00 Uhr sollte er schließlich wieder für die Ratsuchenden in der Kapelle sitzen. Eine Arbeit, die er sehr mochte, in der Hektik der Stadt für die abgekämpften Stadtneurotiker ein ruhiges Wort zu haben. Das gefiel ihm. Sie waren im Grunde ständig überbucht.
Aber vorher nahm sich der Padre noch einen Augenblick für sich. Er musste nachdenken, hier in der kontemplativen Umgebung, im Lichterglanz der tausend brennenden Gebete, deren jedes Flämmlein einen Wunsch zum Himmel trug. Ludolfus betete, oder mehr noch, er versank in Verbundenheit mit seinem Gott. Ludolfus hoffte, dass Gott ihm eine Eingebung gab, was zu tun sei mit dem hartnäckigen Gespenst in der Kleiderkammer.
Fünf Minuten hatte Pater Ludolfus. Und in diesen fünf Minuten sprach Gott zu ihm und Gott sagte: schaue heute Nachmittag die Sendung »Fliege« im ersten Programm.
Ludolfus war verdutzt. Er hatte etwas erhaben Metaphysisches erwartet. Aber gut, wenn Gott das sagte, dann wollte Ludolfus sich »Fliege« angucken. Das kam immer um vier Uhr, das konnte er sich wohl einrichten. Und er musste seinen Intuitionen folgen, so kam er in jedem Fall immer am schnellsten zum Ziel.
Ivy, sagte Rosalinde . Sie
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