Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
etwas Alltägliches zu bringen, wie Kochen oder Hühnerzucht, wozu keine außergewöhnlichen Kräfte erforderlich waren und ihre menschlichen Fähigkeiten ausreichten. Sie war genau an ihrem empfindlichsten Punkt getroffen worden, an dem Punkt, der ihr Schatten war, der Angst, Yorsh könne sie für minderwertig halten. Schlimmer noch, in dem beklemmenden Gefühl, es tatsächlich zu sein.
Wenn Yorsh wenigstens sofort ihre Verteidigung ergriffen hätte, wenn er selbst gegen die Phönixhenne aufgetreten wäre, sie wäre ruhig geblieben und hätte die ganze Sache mit einem Achselzucken abgetan.
Stattdessen war sie wütend geworden und hatte das Schlimmste getan, sie hatte sich als grausam erwiesen. Auch wenn Caren Schiol und Cala das bösartige Geschöpf unerträglich gefunden und zurückgebracht hatten, sie war die Einzige gewesen, die ihm gedroht hatte – sie durfte gar nicht daran denken –, es zu essen. Die Phönixhenne war bestimmt unerträglich, aber das gab ihr selbst nicht das Recht, unhöflich zu sein, um eines von Yorshs Lieblingsworten zu verwenden. Sie wollte nicht, dass ihr Gemahl dachte, er habe eine so brutale Frau geheiratet, die imstande war, einem mit Sprache begabten Wesen den Tod anzudrohen.
Nachts, wenn sie eng umschlungen schliefen, gab es keine Unsicherheit und keinen Zweifel für sie. Aber tagsüber, wenn sie fern voneinander waren und er in seiner Schönheit, in seiner Kraft und Geschmeidigkeit strahlte und bestach mit seinen umfassenden Kenntnissen alles Wiss- und Erkennbaren, von der Bewegung der Sterne bis herunter zu den Namen der Meerestiere, da befielen sie Zweifel. Unsicherheit überkam sie, zusammen mit der Erinnerung an die Stimme Tracarnas, die sie Mistkäfer nannte, wenn sie sich über sie lustig machen wollte.
»Klein, schwarz und verstockt. Wer sollte je so dumm sein, dich zu heiraten, du Mistkäfer? Nur wenn die großen Regenfälle wieder kommen, alle ertrinken und nur du übrig bleibst, dann, ja dann hast du vielleicht eine Chance …«
Dieses »hässlich und grob«, das Tracarna ständig im Mund führte, ihr ewiges »plump und auch ein bisschen dumm«, hätte keine Bedeutung gehabt, wäre da nicht der Schmerz gewesen. Ihre Eltern waren gehenkt worden. Ihr Haus war abgebrannt. Das Dorf, wo sie geboren und aufgewachsen war, hatten die Kriegsknechte verwüstet. Sie war niemandes Kind mehr. Einsam und trostlos war sie zurückgeblieben, als einzige Gesellschaft die Zecken und Wanzen, die sich in dem schmutzigen Mantel, der ihr auch als Decke diente, eingenistet hatten, nie genug zu essen und unentwegt arbeitend. Dieser dumpfe Schmerz hatte ihr die merkwürdige Überzeugung eingegeben, nichts wert zu sein, die sich auf dem Grund ihrer Seele verbarg und nur dann wich, wenn es etwas oder jemanden zu bekämpfen gab und sie ihren Löwenmut entfaltete. Niemandes Kind zu sein, hatte in diesen langen, unerträglichen Jahren dazu geführt, dass der ätzende Spott Tracarnas, obwohl Robi nicht viel von ihr hielt, sich tief in sie eingrub. Auch wenn die Phönixhenne ein dummes und lächerliches Geschöpf war, trafen ihre Worte sie wie siedendes Öl, weil sie diesen ungelösten Schmerz in ihr wachriefen, die dunkle Gewissheit, nichts wert zu sein.
Wenn nicht gar nichts, so doch bestimmt weniger als Yorsh, und schon gar nicht so viel, wie seine Gemahlin hätte wert sein müssen.
In Daligar hatte sie nur ein paar Augenblicke lang Aurora, die Tochter des Verwaltungsrichters gesehen, ihre durchscheinende, strahlende Schönheit, die wie für Yorsh geschaffen schien, und das hatte sie getroffen wie ein Schlag in die Magengrube. Auch die andere trug einen Namen, der zu Arduins Prophezeiung passte. Sollte Aurora Yorshs eigentliche Bestimmung sein und sie nur eine Art Fehltritt?
In den ersten Tagen ihres Aufenthalts in Erbrow bewahrte die Phönixhenne, das musste man ihr lassen, achtungsvolles Schweigen. Steif und aufrecht stand sie tagelang am Strand, den Blick verloren in die Ferne gerichtet, und verweigerte voller Abscheu und Verachtung jede Nahrung. Wie sich herausstellte, aß sie nichts, ernährte sich von Licht, Luft und Salzwasser und ab und zu einem Grashalm oder winzigen Samenkörnern und betrachtete sämtliche mit der Nahrungsbeschaffung verbundenen Tätigkeiten als unschicklich.
Die Bewohner des nahe gelegenen Dörfchens Arstrid kamen allesamt von ihrer Felsenhöhe herunter bis an den Strand, um das außergewöhnliche Geschöpf zu betrachten. Alle fragten, ob und wann man es würde
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