Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
Bein, sagte immer: »Das weiß doch jedes Kind.« Sie erinnerte sich nicht recht, welches die Kinder des einen und welches die des anderen waren, sie brachte sie immer durcheinander. Da war Dalia, die groß und schon Mama war, Goeri, der Letztgeborene, der so alt sein musste wie sie selbst, und dann alle dazwischen – das Mädchen mit den Zöpfen, der Junge mit der Schleuder, der, der immer erkältet war …
Erbrow wollte nicht, dass ihr Papa wegging. Sie wollte, dass er dablieb, wollte es mit aller Macht.
Gleichzeitig wollte sie aber auch, dass er ging. Sie wollte nicht, dass diese Kinder an diesem schrecklichen Ort bleiben mussten, ohne dass ihr Papa ihnen half.
Angkeel war auf die Felsenklippe verbannt, weit weg von ihr. Manchmal sah sie ihn, wenn er ungeschickte, plumpe Flugversuche unternahm, die im Gebüsch endeten, von dem das Hochplateau gesäumt war.
Mama hatte wieder Angst. Sie war verschlossen wie eine Muschel und redete nicht, mit niemand.
Mama hatte Angst; trotzdem war es schön, bei ihr auf dem Schoß zu sitzen, denn da war nicht nur Mamas Herz.
Da waren die Brüderchen.
Zwei.
Jetzt, wo sie größer waren, konnte man sie gut unterscheiden.
Da war ein größeres Herzchen, ruhig und kräftig, und ein kleineres, das zart und rasch schlug. Und dann war da diese komische Sache mit der Lüge. Zu Cala hatte ihre Mama gesagt, sie erwarte ein Kind, und Ebrow konnte nicht begreifen, warum Mama sagte, es sei eins, wo es doch zwei waren.
Die Männer hatten ihre Schaufeln hervorgeholt und unter dem Wasserfall einen Weg freigelegt. Sie sagten, sie würden ihn schon zum zweiten Mal graben, und diesmal war es schneller und einfacher gegangen. Der Weg war breit genug auch für Pferde, denn zwei von ihren Pferden würde Papa mitnehmen.
Ihr Papa hatte einen ganzen Tag und einen ganz Abend mit ihr im Arm verbracht, hatte ihr Geschichten erzählt und Lieder vorgesungen. Dann war er plötzlich verschwunden. Eines Morgens war sie aufgewacht und er war nicht mehr da. Alle fragten sich, warum er in der Nacht aufgebrochen war, ohne sich von jemandem zu verabschieden, und Crescio fand schließlich die Antwort. Ihr Papa war gegangen und hatte den Mann des Hasses mitgenommen. Das konnte er nur nachts, wenn niemand ihn von einer so absurden und gefährlichen Entscheidung abbringen konnte. Keiner verstand den Grund für diese Entscheidung außer Erbrow. Ihr Papa wollte den Mann des Hasses nicht in ihrer, Erbrows, Nähe lassen, weil ihr Papa mittlerweile begriffen hatte, dass dieser Mann ihr wehtat. Aber er hatte Mama nichts davon gesagt, denn sonst hätte sie ihn einfach aus der Welt geschafft. Papa wollte nicht, dass ein Mensch getötet wurde, auch wenn er böse war, und dass es ihre Mama war, die das tat.
Mamas Angst wurde hart wie Stein, und sie verschloss sich noch mehr.
Auch Erbrow hatte Angst. Wenn Mama sie ein bisschen länger auf dem Schoß gehalten hätte, wäre beim Herzschlag der Brüderchen die Angst vergangen, aber Mama kauerte allein auf einem Stein, den Kopf zwischen den Händen. Erbrow lehnte sich an ihre Beine, aber von da konnte man die Brüderchen nicht hören.
Kapitel 19
Yorsh lehnte sich an das Pferd und schaute hinunter auf den Strand und sein Dorf im ersten Morgenlicht.
Das Pferd war ein junger Fuchs, das erste Fohlen von Blitz und Fleck, sie hatten es Enstriil getauft, was in archaischem Elfisch so viel heißt wie »schnell«. Über ihm keuchte Moron den Weg hinauf. Yorsh sah ihn an. Nicht einmal ein Pferd hatte er ihm geben können, weil er nicht reiten konnte, schreckliche Angst vor Pferden hatte und sie außerdem hasste, ein Gefühl, das aus ganzer Pferdeseele erwidert wurde.
Yorsh wollte Frau und Kind nicht verlassen und tat es doch. Mit aller Macht wollte er bei ihnen bleiben und ging doch fort von ihnen. Von allen Dingen, die er tun konnte, war Kämpfen das, was er am meisten hasste, und er war auf dem Weg, es zu tun, wobei er von allen Wesen, die das Menschengeschlecht hervorgebracht hat, ausgerechnet dasjenige mit sich schleppte, das er am wenigsten um sich zu haben wünschte.
Frei zu sein, bedeutet nicht, tun zu können, was man will, sondern die Fähigkeit, Verantwortung für die Welt zu übernehmen, hatte er irgendwo gelesen. Yorsh erinnerte sich nicht mehr, wer der Autor war, aber er fragte sich, ob er einfach so aufs Geratewohl geurteilt hatte oder ob auch er eine geliebte Gemahlin und ein vergöttertes Kind hatte zurücklassen müssen, um sich fern von zu Hause abschlachten zu
Weitere Kostenlose Bücher