Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
einschlug, um sie schnellstmöglich auf die Wehrgänge zu bringen, führte durch den unteren Teil des Palasts, die oberste Ebene der Verliese. Es war eine Folge von kleinen Räumen mit Hunderten von Glasfläschchen darin, die allesamt mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt waren.
»Was ist denn das?«, fragte Robi.
»Parfüm«, antwortete der Seneschall einsilbig.
»Ich weiß nicht, was das ist«, gestand die Herrscherin. Sogar Jastrin schien dazu nichts einzufallen.
Der Seneschall seufzte und schickte einen kurzen Blick zum Himmel, zu den Göttern, wie um sie zu Zeugen anzurufen für derart barbarische Unkenntnis.
»Der Verwaltungsrichter«, erklärte er, »hat eine Methode entdeckt, wie man aus den Überschüssen an Obst und Getreide Dünger für die Blumen im Palast gewinnen kann.«
»Überschüsse an Obst und Getreide?«, fragte Robi fassungslos. Die Armut und der Hunger ihrer Jahre im Waisenhaus waren ihr noch im Gedächtnis, ebenso wie die Soldaten, die ihre Eltern fortgeschleppt hatten. Außer der verdächtigen Freundschaft mit einem Elfen war die Anklage gewesen, sie hätten versucht, die Ernte des Dorfes Arstrid beiseitezuschaffen, die sie gekommen waren, als Überschluss abzuholen. »Was für Überschüsse an Obst und Getreide? Wann hat es in der Grafschaft denn je Überschuss an irgendetwas gegeben?«
Der Seneschall ging auf den Einwurf nicht ein, seufzte und fuhr fort.
»Mit dem Obst und Getreide werden vor allem die großen und besonders stark duftenden Glyzinienblüten gedüngt. Durch ein kompliziertes System von Destillierkolben gewinnt man aus den Blüten ein Parfüm, eine durchsichtige Flüssigkeit, die entflammbar ist, vorzüglich duftet und nützlich ist gegen die Ausbreitung von Seuchen. Das Parfüm wird überall verkauft, auch außerhalb der Grafschaft. Ein Großteil des Reichtums des Richters rührt daher.«
Die Tatsache, dass die Bevölkerung von Daligar jahrelang Hunger gelitten hatte, nur um dieses sinnlose Zeug herzustellen, schien den zaundürren Höfling nicht im Entferntesten zu rühren. Robis Sympathie für ihn wurde dadurch nicht größer.
»Entflammbar?«, fragte sie schließlich. »Heißt das, dass es brennt? Aber Wasser brennt doch nicht!«
Noch ein Seufzer.
»Die durchsichtige Flüssigkeit ist kein Wasser, sondern eben Parfüm«, erklärte der Seneschall. »Hält man eine Flamme daran, entzündet es sich. Ja, wenn ein Fläschchen in ein Kaminfeuer fällt und zerbricht, gibt es eine so heftige Stichflamme, dass es zu einer Explosion kommt.«
»Zu was?«, fragte Robi.
»Zu einer Explosion, Herrin. Eine Flamme, die sich mit Donnerknall nach allen Seiten ausbreitet.«
Sie kamen aus den Verliesen heraus und durchquerten einen großen Innenhof. Jastrin stets hinter sich, gelangte Robi nach oben auf die Wehrgänge und sah sich um.
Im Licht der untergehenden Sonne lag die Stadt da, sie war von allen Seiten umzingelt. Im Westen strahlte noch der letzte Sonnenschein, während der Himmel im Osten nach Varil zu dunkel war wie eine Stahlplatte, schwer von Wolken, vor denen sich die Mauern der Stadt leuchtend abhoben, als wären sie aus Gold. Unter dem dräuenden Himmel standen die Möwen reglos in der Luft, ihre Flügel glänzten in den letzten Sonnenstrahlen. Unterhalb der Wehrgänge wehten die karmesinroten Fahnen der Stadt. Die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne spiegelten sich in den Wassern des Dogon und verwandelten den Fluss in ein schimmerndes Band aus Licht. Der Fluss lief von Ost nach West, er kam aus der Ebene von Varil und floss zu den Dunklen Bergen, an einer bestimmten Stelle teilte er sich in zwei ungleiche Arme, welche die Stadt Daligar einschlossen wie eine Insel und rings um sie einen tiefen, natürlichen Graben bildeten. Der Flussarm im Südosten war breit und behäbig, das Wasser stand fast still und war gesäumt von Schilfrohr; über ihn führte die monumentale Zugbrücke, auf der Robi ihren Einzug gehalten hatte. Der Flussarm im Norden war schmal und lief zwischen Felsenufern, das Wasser war hier reißend. Die Zugbrücke beim Nördlichen Tor war kurz und schmal.
Die Orks lagerten mittlerweile schon an beiden Flussarmen. Etwa anderthalb Meilen vom Zusammenfluss der beiden Wasserarme entfernt, zwischen Daligar und den Dunklen Bergen, erblickte Rosalba die alte Holzbrücke, die erlaubte, den Fluss zu überqueren, ohne durch die Stadt zu müssen. Die feindlichen Heere hatten sie überschritten und belagerten die Stadt nun von allen Seiten.
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